Vielleicht hätte ich doch besser Harry Potter gelesen, dann wüsste ich jetzt wenigstens, warum alle die „arme“ Frau Rowling und ihr erstes Erwachsenenbuch kritisieren. Stattdessen bin ich auf Shades of Grey hereingefallen und habe mir den ersten Teil dieses BDSM-Machwerks als (Hör-)Buch angetan.

Shades of Grey ist wirklich etwas für Feinschmecker in Sachen Dominanz und Unterwerfung. Wer es schafft, das zu lesen, was ich gehört habe, muss wirklich auf Bestrafung stehen. Als Hörbuch hilft einem wenigstens die niedliche Vorlesestimme der Ana beim Einschlafen. Beim Lesen fällt einem der dicke Schmöker allerdings vor Niveaulosigkeit aus der Hand auf die Füße – und bereitet Schmerzen. Verflixt! Soll ja wohl so sein.

Die etwas tröge Story von der unbefleckten (das zweite Buch mit Millionenauflage nach der Bibel, in dem die Hauptdarstellerin Jungfrau ist) Studentin, die sich in den megasexy Multimillionär (so reich wie Bill Gates [sic]) verliebt, der aber nur Lust auf rohen und harten Sex hat, ist in ihren Wurzeln dem Internet entsprungen. So verweben sich hier die wildesten Sexfantasien der Netzgemeinde zu einem Porno der ganz speziellen Art.

Hirn ausschalten und sich von Stellung zu Stellung treiben lassen (ich lobe mich mal selbst für die Nutzung der Worte „Stellung“ und „treiben“ in einem Satz, ohne explizit eine sexuelle Handlung beschrieben zu haben) kann helfen – muss es aber nicht. Denn ab und an muss der Hörende/Lesende auch mal schlucken, wenn es darum geht, wie schnell sich eine junge Frau, die eben noch vollkommen unerfahren war, von der Lust und dem Fleisch des Herrn Grey ausfüllen lässt.

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Shades of Grey reiht Seite um Seite ein Stakkato sexueller Spielarten aneinander, die – je nach Alter und eigener Lebenserfahrung – einen erregen können oder an das Spätabendprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erinnern.

Deutsche Leserinnen und Leser, oft durch Mundpropaganda (Nachtigall, ick hör dir trapsen…) auf das Buch aufmerksam geworden, versprachen sich eventuell höheren Lesegenuss von den 600 Seiten. Wobei schon der Buchumschlag eine Warnung hätte sein sollen.

Nach der Entjungferung der Heldin, deren Nachname ja schon Programm ist, folgt ein lustiger Mischmasch sich wiederholender Satzkonstruktionen aus denselben Worten – von Orgasmus zu Orgasmus, bei denen unsere junge Heldin immer wieder vor Lust zerspringt. Das erklärt möglicherweise auch ihren Sprung an der Schüssel.

Mein persönliches Lieblingswort bei Shades of Grey ist „postkoital“ – weil es in völlig neuen Zusammenhängen verwendet wird. Postkoitale Müdigkeit ist ein in Schlafzimmern weit verbreiteter Zustand, erklärbar durch die erhöhte Produktion von Prolaktin nach dem männlichen Orgasmus. In unserem kleinen BDSM-Büchlein für aufgeregte Midager gibt es aber postkoitale Zustandsbeschreibungen von Haaren, Hemden und anderen Dingen, die durch das irgendwie „geil“ klingende Wort aus ihrer Banalität herausgerissen werden sollen. „Meine postkoitalen Zöpfe…“ klingt eben aufregender als „mein nasser Wuschelkopf“.

Ansonsten ist in Anas Leben irgendwann alles nur noch nass und feucht – vor der kaum noch aufzuhaltenden Erektion des Superhelden, die sich Seite um Seite in wallende und vor Lust glühende Körperteile „rammt“, nur um Sekunden später den Körper in 1.000… (hatte ich ja schon) zu entladen.

Der dauergeile, aber reiche Herr Grey unterwirft sich seine Sklavin in einer solchen Geschwindigkeit, dass einem Angst und Bange um die körperliche Unversehrtheit der gestählten Heldin wird. Würde es so temporeich weitergehen, müsste Ana Steele irgendwann so enden wie einige Frauen bei American Psycho: zerstückelt und in Plastiktüten verpackt.

Das passiert natürlich nicht – denn der schwarze Ritter, der in ihren Augen ein weißer Ritter in strahlender Rüstung ist, möchte sein Spielzeug, nach dem es ihm so dürstet, nicht zerstören, sondern nur erziehen.

Gerade in diesen Passagen wird auch der Unterschied zwischen der softpornoartigen Erzählung des Hörbuchs und dem Buch deutlich. Die leicht einlullende Stimme lässt einen an ein paar Stellen vergessen, dass hier teilweise knallharter Sex geschildert wird – bei dem eine junge Frau (21), eben noch Jungfrau, nach wenigen Tagen Christians ritterliche Lanze schlucken „darf“ und sich im besten Pornostil ohne jegliche Würgereflexe lustvoll stöhnend der Peitsche hingibt, um sich der Philosophie von Christian Grey – „Ich schlafe nicht mit jemandem. Ich ficke… hart.“ – auszuliefern.

Unterwerfungsphantasien hin oder her – und einer Kollegin zum Trotz, die in der Mittagspause meinte, Frauen mögen dominante Männer –, überschreitet das Buch (welches im Supermarkt neben der Tina angeboten wird) die Grenze zur Hardcorepornophantasie. Romane wie American Psycho bekamen für weniger in den 1990ern noch einen Platz auf dem Index.

Für die einen ist das Buch fantasieanregender Stoff, der dazu führt, dass Buchhandlungen neben Handschellen und Paddeln bald auch FSK18-Kabinen einrichten. Für andere mag es die romantische Geschichte einer Liebe sein, gespeist aus den merkwürdigen Niederungen der menschlichen Seele, die Schmerz als Ausdruck liebevoller Zuneigung akzeptiert. Und für die Dritten ist es ein Buch, das über geschickte Mundpropaganda aus den Untiefen des Internets an die Frischluft der Käsetheke bei Rewe gespült wurde – und dort begeistert, weil es chic ist, sich über verhauene weibliche Geschlechtsteile auszutauschen.

Sicher ist: Auch mich hat die Neugier nicht aufgehalten, 12,99 € zu investieren. Klüger bin ich nicht geworden – außer mit der Erkenntnis, dass ich das zweite Buch der aufpeitschenden Bondageromanze ganz sicher nicht kaufen werde. Lieber eine gute Flasche Wein.

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