Manchmal fragt man sich, ob Kritikerinnen und Leserinnen überhaupt dasselbe Buch in den Händen halten. Caroline Wahls neuer Roman Die Assistentin ist so ein Fall.

Kritikerlob: Fast schon ein Kanonisierungsgeschrei

Das Feuilleton überschlägt sich: Von „Triumph“ (Süddeutsche Zeitung) über „differenzierte Geschichte von Macht und Ohnmacht“ (Die Zeit) bis hin zu „uneingeschränkt lesenswert“ (Rheinische Post). Der Roman gilt als „mutig und provokant“, mit einem der „brillantesten Monster“ als Verlegerfigur (Weltplus). Man spürt förmlich, wie sich die Redaktionen gegenseitig überbieten, um die „neue Stimme der Gegenwartsliteratur“ auszurufen.

Leserstimmen: Ernüchterung statt Begeisterung

Und dann die Realität: Wer das Buch liest, berichtet von sprunghaften Szenen, einer unsympathischen Hauptfigur und einem Erzählstil, der eher verwirrt als begeistert. Viele Leserinnen, die 22 Bahnen und Windstärke 17 verschlungen haben, fühlen sich hier vor den Kopf gestoßen. „Narratologische Katastrophe“, „langatmig wie ein Tagebuch“ oder „Wo ist der rote Faden?“ – das sind keine Einzelfälle, sondern wiederkehrende Eindrücke.
Natürlich gibt es auch positive Rückmeldungen, aber der Tenor ist klar: Während Kritikerinnen euphorisch applaudieren, winken viele Leser*innen enttäuscht ab.

Meine Kritik: Ein Feuilleton-Echo-Kammer-Effekt

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Die Assistentin vor allem deshalb so gefeiert wird, weil es die „richtigen“ Themen bedient: Machtmissbrauch, Verlagswelt, junge Frauen, toxische Strukturen. Alles hochrelevant, keine Frage. Aber ein wichtiges Thema macht noch kein gutes Buch.
Genau hier liegt die Falle: Kritikerinnen wollen unbedingt eine literarische Stimme „der Stunde“ ausrufen – und blenden darüber hinweg, dass Sprache, Figuren und Story schlicht nicht überzeugen. Leserinnen spüren das sofort.

Fazit: Polarisierend – und das im schlechtesten Sinne

Die Assistentin zeigt, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen können. Wer die Kritiken liest, erwartet ein Meisterwerk. Wer das Buch liest, bekommt – je nach Blick – einen holprigen, überambitionierten Text oder bestenfalls eine interessante, aber unvollendete Idee.
Vielleicht ist das größte Verdienst des Romans nicht seine literarische Qualität, sondern dass er zeigt, wie abgekoppelt das Feuilleton manchmal von den echten Leseerfahrungen ist.

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