Der Newsletter, der Küchentechnologie, künstliche Intelligenz und Genusskultur auf einzigartige Weise verbindet
Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen zur achten Ausgabe des «KI, Thermomix und Lesestoff»-Newsletters! Diese Woche tauchen wir tief in die spirituellen Dimensionen unserer technologischen Begleiter ein. Warum beten Menschen ihre Küchenmaschinen an? Ist KI die neue Religion? Und was können wir von einem 500 Jahre alten Jesuitengarten über Innovation lernen?
Die Thermomix-Sekte: Wenn Küchengeräte zu Göttern werden
«Hast du schon den neuen TM7?» Diese Frage wird in deutschen Küchen mit einer Intensität gestellt, die normalerweise religiösen Bekenntnissen vorbehalten ist. Thermomix-Besitzer sprechen von ihrem Gerät nicht wie über einen Mixer, sondern wie über einen Lebensretter, einen Freund, einen unfehlbaren Guru.
Die Rituale einer modernen Küchenreligion
Betrachten wir die Parallelen: Es gibt die Erweckungserlebnisse («Mein erstes Risotto war perfekt!»), die Missionierung («Du musst unbedingt mal probieren!») und sogar Pilgerfahrten zu Thermomix-Vorführungen. Die Community entwickelt eigene Sprache, Traditionen und heilige Texte – äh, Rezeptsammlungen.
Aber ist das wirklich anders als bei anderen Technologien? Steve Jobs wurde als Techno-Messias verehrt, Tesla-Fahrer evangelisieren für Elektromobilität, und KI-Enthusiasten predigen die kommende Singularität.
Was macht Technologie so gottähnlich?
Die Antwort liegt in der menschlichen Sehnsucht nach Perfektion und Kontrolle. Der Thermomix verspricht: «Vertraue mir, und dein Essen wird immer gelingen.» KI-Systeme versprechen: «Vertraue mir, und ich löse deine Probleme.» Diese Versprechen erfüllen ein urmenschliches Bedürfnis nach Sicherheit in einer unberechenbaren Welt.
Die KI als digitaler Gott: Allmächtig, allwissend, aber nicht allgütig?
Während Thermomix-Anhänger ihre Küchenmaschine vergöttern, entwickelt sich parallel ein weitaus mächtigerer Kult: die Vergöttlichung der Künstlichen Intelligenz. KI wird zunehmend Eigenschaften zugeschrieben, die traditionell Göttern vorbehalten waren.
Allmacht: «KI kann alles – von Gedichten bis zu Geschäftsstrategien» Allwissenheit: «KI hat Zugang zu allem Wissen der Menschheit» Unfehlbarkeit: «Der Algorithmus irrt sich nicht»
Aber hier wird es gefährlich. Während ein Thermomix höchstens eine Suppe versalzen kann, haben KI-Systeme bereits über Kreditvergaben, Personalentscheidungen und sogar Gerichtsurteile mitentschieden. Die Vergöttlichung von KI macht uns blind für ihre Schwächen und Vorurteile.
Das Silicon Valley als moderne Priesterkaste
Tech-CEOs inszenieren sich zunehmend als Propheten einer neuen Zeit. Sie sprechen in visionären Metaphern, verkünden das «Zeitalter der KI» und positionieren sich als Vermittler zwischen Mensch und Maschine. Die Parallelen zu religiösen Führern sind unübersehbar: charismatische Auftritte, missionarischer Eifer und die Verheißung einer besseren Zukunft.
Doch im Gegensatz zu traditionellen Religionen gibt es hier keine Jahrhunderte der theologischen Reflexion, keine ethischen Leitplanken und keine demokratische Kontrolle über die «Dogmen».
Der Jesuitengarten: 500 Jahre alte Lektionen für KI-Pioniere
Mitten in dieser technologischen Aufregung lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Im Jesuitengarten des Kollegs St. Blasien wachsen seit Jahrhunderten Heilkräuter nach einem ausgeklügelten System. Die Jesuiten kombinierten wissenschaftliche Beobachtung mit spiritueller Praxis – und schufen dabei nachhaltige Innovationen.
Was können wir von den Jesuiten lernen?
Langfristiges Denken: Während Tech-Unternehmen in Quartalen denken, planten Jesuiten in Jahrhunderten. Sie fragten nicht nur «Was können wir?», sondern «Was sollen wir?»
Ethische Reflexion: Jede Innovation wurde auf ihre moralischen Implikationen geprüft. KI-Entwicklung heute geschieht oft nach dem Motto «move fast and break things» – ein Ansatz, der bei der Gartenarbeit schnell in die Katastrophe führen würde.
Demut vor der Komplexität: Jesuiten wussten, dass sie die Natur nie vollständig kontrollieren konnten. Sie arbeiteten mit ihr, nicht gegen sie. Eine Lektion, die KI-Entwickler dringend beherzigen sollten.
Community über Profit: Der Jesuitengarten diente der Gemeinschaft, nicht der Gewinnmaximierung. Was wäre, wenn KI-Entwicklung ähnlich orientiert wäre?
Die Sache mit den anderen Göttern: Polytheismus im Digitalzeitalter
Vielleicht ist die Mono-Vergöttlichung der KI der falsche Ansatz. Statt einem allmächtigen digitalen Gott zu huldigen, könnten wir einen technologischen Polytheismus entwickeln: verschiedene Tools für verschiedene Aufgaben, jedes mit eigenen Stärken und Schwächen.
Der Thermomix-Gott für präzise Küchenarbeit Der ChatGPT-Gott für kreative Texte Der Midjourney-Gott für visuelle Inspiration Der Excel-Gott für Datenanalyse (ja, auch Tabellenkalkulationen können heilig sein)
Diese Perspektive macht uns bescheidener und realistischer. Anstatt von der einen perfekten Lösung zu träumen, lernen wir, die richtige Technologie für die richtige Aufgabe zu wählen.
Praktische Theologie für den Alltag: Wie gehst du mit deinen Tech-Göttern um?
Frage 1: Welche Technologie verehrst du unbewusst? Beobachte dich selbst: Welches Gerät oder welche App löst bei dir irrationale Loyalität aus? Bei welcher Technologie denkst du nie an Alternativen?
Frage 2: Wo machst du dich technologisch abhängig? Der Thermomix kann kein Spiegelei braten. ChatGPT kann nicht autofahren. Wo verlässt du dich auf Tools, obwohl einfachere Methoden besser wären?
Frage 3: Wie transparent sind deine digitalen Götter? Verstehst du, wie deine wichtigsten Tools funktionieren? Oder glaubst du einfach an ihre Magie?
Frage 4: Dienen deine Tools dir oder du ihnen? Echte Werkzeuge verstärken menschliche Fähigkeiten. Falsche Götter fordern Unterwerfung.
Die Jesuitenregel für KI-Nutzung
Inspiriert vom Jesuitengarten schlage ich eine einfache Regel vor:
«Nutze Technologie wie einen Garten: mit Respekt, Geduld und dem Wissen, dass du nie alles kontrollieren kannst. Und vergiss nie, dass der schönste Garten nutzlos ist, wenn er niemandem dient.»
Thermomix-Meditation: Rezept für technologische Demut
Hier ein praktischer Ansatz für mehr Bewusstsein im Umgang mit smarten Küchengeräten:
Zutaten für 4 Personen:
- 1 Portion gesunden Menschenverstand
- 1 Prise Dankbarkeit
- 2 Esslöffel kritisches Denken
- 500ml Gelassenheit
- 1 Thermomix (optional)
Zubereitung: Bereite bewusst ein Gericht zu, bei dem du zwischen manueller und Thermomix-Zubereitung wählen kannst. Entscheide nicht automatisch, sondern frage dich: «Was will ich heute lernen?» Manchmal ist das Kneten von Hand meditativer als der perfekte Knetmodus. Manchmal ist Präzision wichtiger als Authentizität.
Garzeit: Solange es dauert
Schwierigkeit: Einfach, aber nie ganz perfekt
Beilagen: Funktioniert mit allem
Lesestoff mit Seele
«Der Geschmack von Laub und Erde» – Wein aus dem Kloster Eberbach
Während wir über Tech-Götter philosophieren, gibt es Menschen, die seit Jahrhunderten mit einer anderen Art von Transformation arbeiten: Winzer. Im rheingauischen Kloster Eberbach verbanden Zisterziensermönche seit dem 12. Jahrhundert spirituelle Praxis mit handwerklicher Perfektion.
Der Kloster Eberbach Riesling Kabinett 2023 ist Meditation in Flaschenform. Präzise wie ein gut programmierter Algorithmus, aber voller menschlicher Unperfektion. Er schmeckt nach Geduld, nach Generationen von Wissen und nach der Erkenntnis, dass manche Dinge nicht beschleunigt werden können.
Notizen: Apfel, Zitrone, mineralische Tiefe. Ein Wein, der nicht beeindrucken will, sondern begleiten. Preis: Etwa 12 Euro Spiritueller Gehalt: Hoch Algorithmus-Kompatibilität: Nicht trainierbar, nur erlebbar
Dieser Wein erinnert daran, dass wahre Innovation oft in der Balance zwischen Tradition und Fortschritt liegt. Die Mönche nutzen moderne Kellereitechnik, aber sie wissen auch, wann sie der Natur vertrauen müssen.
Fazit: Götter, Gärten und Gelassenheit
Vielleicht ist die wichtigste Lektion dieser Ausgabe die Erkenntnis, dass wir unsere Beziehung zu Technologie bewusst gestalten können. Wir müssen weder KI noch Thermomix anbeten, aber wir können sie respektvoll nutzen.
Die Jesuiten im Garten von St. Blasien hatten keine KI, aber sie hatten etwas anderes: die Weisheit, dass echte Innovation Zeit, Demut und Gemeinschaftssinn braucht. Vielleicht sollten wir das im Silicon Valley mal ausprobieren.
Bis nächste Woche mit neuen Entdeckungen zwischen Küche, Code und Kontemplation!
Euer #digitalpaddy
P.S.: Falls ihr nach dem Lesen dieses Newsletters Lust auf Gartenarbeit bekommen habt: Kräuter lassen sich auch ohne Thermomix ernten. Manchmal ist das Einfachste das Revolutionärste.