Sitze ermattet neben dem Computer, versuche, im nachahmenden strunkschen Schreibstil eine Kurzkritik des jüngsten Werks von Heinz Strunk zu verfassen. Zum sonntagmorgendlichen Schreibversuch: ein Thee, keine Cigarettengabe, dafür mit Palmöl versetzter Brotaufstrich und Ei mit Speck.
Frage an mich selbst: Wird der Meister meinen dilettantischen (gefühlt) Nachahmungsversuch jemals zu Gesicht bekommen? Sicher nicht. Bin bereits jetzt enttäuscht. Muss mich überwinden, weiterzuschreiben.
Nebelwetter. Strunk notiert für den 24.11. in seinem Buch, er habe eine musikalische Version einer indischen Speisekarte verfasst.
Meine Notiz zu diesem Tag:
Strunks Tagebuch ausgelesen. Erschöpfende Beschreibung seines Geistes- und Gesundheitszustands. Bedenklich viel Alkohol. Häufige DDR-Beschimpfung. Spielsucht und Gottesfurcht vereinen diesen Mann zu einem, zuweilen von Selbstzweifeln zerfressenen, Menschen, der sich mit viel Mühe durch Beschimpfung seines Nachbarn noch am Leben halten kann, bevor ihn seine täglichen Ausflüge ins Alltagsleben vollends in den Wahnsinn treiben.
Strunk füllt die Zeilen seines Buches mit der Aneinanderreihung von Zitaten großer Schriftsteller (drei Seiten Nachweise am Ende des Buchs zeigen, wie man mit der Arbeit anderer Zeile um Zeile füllen kann, ohne eine gutenbergsche Zitatungnade fürchten zu müssen), deren Größe er selbst wohl nie erreichen kann. Zeile für Zeile durchlebt man ein ganzes Jahr im Leben des vermeintlich begnadeten Autors von neun Büchern, der u. a. mit «Fleisch ist mein Gemüse» ein für mich bis heute nahezu unerreichbares Epos über seine Karriere als Tanzkapellenmusiker geschaffen hat – und den Wahlspruch vieler Männerfressvereine. In denen, so die Hoffnung des Autors, bald Menschenfleisch verzehrt werden kann.
Die anfängliche Begeisterung, die täglichen Schreibqualen Strunks zu begleiten, wird alsbald von einer sich immer mehr ausprägend zornigen Langeweile eingeholt. Dieser Mensch könnte so viel mehr leisten, wenn er sich nicht von seinem täglichen Selbstmitleid kontrollieren ließe. Dazu der übermäßige, aber offenbar kontrollierte, Alkoholmissbrauch, mit dem er seine Tage verdaddelt. Und die immerfortwährenden, fast belehrenden Worte über seine Exkursionen an die Spielautomaten (Daddeln als Existenzberechtigung, dazu noch mehr Alkohol) – samt dem damit einhergehenden ständigen Verlust seiner minimalen Gagen, die ihm seine Künstleragentur für die meist schlecht besuchten Lesungen und Auftritte (oft im Osten – kommt daher sein Zorn auf die Zonenkinder?) überweist.
Der launigste Teil seiner Intimschatulle ist die offenkundig zur Schau gestellte Feindschaft mit dem großen deutschen Trivialschauspieler Helmut Zierl. Beispiel: «… und leichte TV-Kost: ‹Arme Ritter mit Süßstoff›. Helmut Zierl spielt einen Restaurantbesitzer, dessen neue Spülhilfe sich als seine Tochter entpuppt. Mimus vitae.»
Strunk vermag es, mit seinem über drei Jahre zusammengefassten Leben seine eingefleischten Fans zu begeistern. Als namhafter Literaturblogger der ersten Stunde lasse ich mich aber von ihm nicht ins Bockshorn jagen. Ich sehe darin den Versuch, seine Spiel- und Immobilienkaufsucht zu finanzieren. (Ein weiteres großes Problem dieses tagebuchähnlichen Machwerks: Ständig wird irgendetwas gekauft, aber unentwegt über die viel zu niedrige Gage lamentiert. Einfach unglaubwürdig. Leserverhöhnung!)
Die Intimschatulle ist eine gekonnte Lesertäuschung, bei der seine Fans am monoton unsteten Leben ihres Ideals teilhaben sollen. Die gekonnte Überhöhung seines täglichen Scheiterns bei seinem schriftstellerischen Tagwerk – welches er mit der lakonischen Umschreibung «Apfel Mülleimer» kommentiert – ist am Ende das entlarvende Detail dieses schwunghaft von Wiederholungen lebenden gescheiterten Versuchs, die Tagebücher großer Autoren zu imitieren.
Strunks Buch kann als Schrei nach Aufmerksamkeit verstanden werden. Dieser wird in seiner Notiz vom 08.10. versteckt: «Im Nobelpreis übergangen.»
Für die Verfilmung – und damit die Aufbesserung der strunkschen Geldschatulle – schlage ich Helmut Zierl als Heinz Strunk vor. Niemand könnte sich besser in dieses Leben einfühlen als der große Zierl himself.
Erspare mir den Apfel Mülleimer, klicke «veröffentlichen» und mache mich fertig für einen Spaziergang in der nun von klarer Novembersonne durchfluteten herbstlichen Landschaft. Erhoffe mir Trost in den Stimmen der Natur – nach den Qualen der Intimschatulle.