Illustration eines Podcast-Interviews: Ein Mann und eine Frau sitzen sich an einem runden Tisch gegenüber, beide tragen Kopfhörer und sprechen in Mikrofone. Im Hintergrund ist die Skyline von Frankfurt am Main zu sehen. Auf dem Boden vor dem Tisch befindet sich das Logo der Website meiersworld.de, das einen stilisierten Leuchtturm mit einer Schreibfeder als Spitze zeigt, aus dem Sprechwellen strahlen. Darunter steht: „meiersworld.de – Meinungen, Texte, Gedichte, Bilder

Mit einem Glas Grauburgunder aus der Pfalz sitze ich auf der Couch und denke über ein Gespräch nach, das mich nicht mehr loslässt. Christin – auf Instagram als @die.weinfee unterwegs – hat mir erzählt, wie sie eines Tages durch ihre Heimat am Mittelrhein spaziert ist. Oberwesel, Steillagen, Weinberge, die sie seit ihrer Kindheit kennt. Und dann stand sie plötzlich vor einer komplett gerodeten Fläche. Einfach weg. Verschwunden. Ein Stück Heimat, ausgelöscht.

Dieser Moment, sagt sie, war ihr persönlicher Weckruf. Und ehrlich gesagt ist er das auch für mich geworden.

Die Sache mit den Steillagen

Christin ist in einem Winzerbetrieb aufgewachsen. Sie weiß, was es bedeutet, in Steillagen zu arbeiten: körperlich brutal, gefährlich, reine Handarbeit. Maschinen? Fehlanzeige. Alles muss geschleppt, gehackt, geschnitten werden. Bei Wind, Regen, Hitze. Und während man sich den Rücken krumm arbeitet, steht im Supermarkt ein Importwein für einen lächerlichen Preis im Regal – gekauft aus Tanklastern, abgefüllt in Deutschland, aber deutsche Trauben? Keine Spur.

Was Christin auf Instagram macht, ist nichts weniger als Aufklärungsarbeit. Sie erklärt, was viele nicht wissen – oder nicht wissen wollen: «Abgefüllt in Deutschland» heißt eben nicht «deutsche Trauben». Die wichtigste Info auf der Flasche ist die A-Nummer, der Abfüller. Nur so erkennt man, ob der Wein wirklich vom Winzer kommt. Klingt banal, ist aber für die meisten Konsumenten komplettes Neuland.

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Und dann gibt es noch diese sprachlichen Feinheiten: Winzer-Glühwein versus Glühwein vom Winzer. Ein kleiner Unterschied, der einen großen macht. Aber wer weiß das schon, wenn man schnell noch eine Flasche für den Weihnachtsmarkt braucht?

Was verschwindet, wenn Weinberge verschwinden

Ich habe mich gefragt, was eigentlich passiert, wenn eine Steillage aufgegeben wird. Christin hat es mir erklärt – und es ist mehr als nur eine wirtschaftliche Entscheidung. Es verschwinden jahrhundertealte Trockenmauern, Lebensräume für Reptilien, Insekten, Vögel. Es verschwinden Schutzfunktionen gegen Erdrutsche. Es verschwindet eine Kulturlandschaft, die Europa prägt, die Touristen anzieht, die Identität stiftet.

Und das Tragische daran: Gerodete Steillagen lassen sich kaum durch andere Kulturen ersetzen. Das Terroir ist auf Wein ausgelegt. Wer nicht nachpflanzt, verliert die Fläche für Jahrzehnte. Oder für immer.

Die deutsche Wein-Schizophrenie

Deutschland hat dreizehn Anbaugebiete. Dreizehn! Mit einer Vielfalt, die weltweit ihresgleichen sucht. Und trotzdem geben die meisten Deutschen für eine Flasche Wein ungern mehr aus als für einen Coffee-to-go. Gleichzeitig sitzt man im Restaurant und bestellt völlig selbstverständlich einen Bordeaux oder einen Chianti – für das Dreifache, was man für einen deutschen Spätburgunder bezahlen würde.

Christin sagt es klar: Deutscher Wein ist qualitativ längst auf Augenhöhe mit vielen internationalen Regionen. Oft sogar besser. Aber der Ruf hinkt hinterher. Und während wir hier diskutieren, ob deutscher Wein «gut genug» ist, geben Familienbetriebe auf. Manche in der vierten Generation.

Was Winzer zusätzlich belastet

Als hätte man nicht schon genug zu kämpfen, kommen noch Bürokratie, Dokumentationspflichten, steigende Kosten, Personalmangel und die Unsichtbarkeit im Handel hinzu. Viele Winzer trauen sich nicht, offen über diese Probleme zu sprechen, weil sie niemanden verschrecken wollen. Christin übernimmt diese Aufklärungsarbeit – weil sie sieht, wie Existenzen verschwinden.

Und ich frage mich: Warum reden wir eigentlich nicht mehr darüber?

Was wir tun können (ohne mehr zu trinken)

Die Weinfee sagt es so schön pragmatisch: Man muss nicht mehr trinken – nur bewusster. Öfter direkt beim Winzer kaufen. Regionale Weine probieren. Auf die A-Nummer achten. Nicht nur nach dem Etikett entscheiden. Probierpakete nutzen. Auch mal abseits des Rieslings stöbern.

Schon jede zweite importierte Flasche, ersetzt durch deutschen Wein, würde messbar helfen.

Wir haben in unserem Gespräch auch darüber gesprochen, wie sehr Genuss mit persönlicher Erfahrung zusammenhängt. Ein Wein schmeckt anders, wenn man das Weingut gesehen, den Winzer gesprochen, die Region erlebt hat. Das ist keine Esoterik, das ist Wahrnehmungspsychologie. Und es ist verdammt wichtig.

Eins weiß ich

Wein ist mehr als Genuss. Wein ist Handwerk, Kultur, ein Stück Identität. Und wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir nicht nur Weinberge. Wir verlieren Menschen, die ihr Leben dieser Arbeit gewidmet haben. Wir verlieren Landschaften, die nicht wiederkommen. Wir verlieren etwas, das man nicht einfach nachbestellen kann.

Christin kämpft dafür, dass wir das nicht vergessen. Und ehrlich gesagt sollten wir das alle tun.

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