Die Idee für das heutige Newsletterthema kam mir erst spät am gestrigen Abend. Da flutete ein Beitrag von Christian Bölling meine LinkedIn-Aufmerksamkeitszeitlinie. Es ging um automatisierte Kommentare und darum, dass wir auf dem Weg in ein Zeitalter sind, in dem wir uns wünschen würden, in einer nahezu botlosen Gesellschaft zu leben (gottlos haben wir in Teilen ja schon hinbekommen).
Da fiel mir das Buch des vorletzten Sommers ein. Ich kramte es heraus – es lag genau dort, wo ich es im Bücherregal eingeordnet hatte. Es sah mich etwas traurig an, denn es hatte den Sommer am Strand, im Schwimmbad und unter nassen Badeklamotten verbracht. Der Einband war etwas eingerissen, und die Seiten waren an manchen Stellen von der Feuchtigkeit in Würde gewellt. Eine Art des Alterungsprozesses, den Literatur nur dann durchleben kann, wenn sie auf Papier gedruckt wurde und in den Alltagsprozess der Lesenden einbezogen wurde. Dennoch hatte keines der Worte darin an Gewicht verloren.
Ich schreibe hier von Content, einem Buch des österreichischen Autors Elias Hirschl.
Hirschls Roman erzählt von einer namenlosen Protagonistin, die bei Smile Smile Inc. arbeitet – einer dieser Content-Farmen, die das Internet mit bedeutungslosem Schrott fluten. Ihr Job? Listicles verfassen. Die besten Power-Couples. Die schlimmsten Filme der letzten elf-einhalb Monate (warum elf-einhalb? Weil es absurd klingen muss, vermutlich). Hauptsache Klicks. Hauptsache, die Algorithmen werden gefüttert.
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Ich habe mich gefragt, ob Hirschl selbst mal in so einem digitalen Hamsterrad gearbeitet hat, denn seine Satire trifft den Ton dieser Branche mit einer Präzision, die schmerzt. Die Protagonistin ist Teil des digitalen Prekariats, gefangen in einer Dystopie, die sich gar nicht mehr dystopisch anfühlt, weil sie bereits Realität ist. Alles ist bedeutungslos geworden: jede Zeile nur noch Mittel zum Zweck, jeder Text nur noch Clickbait-Futter.
Die Antwort auf die Monotonie ihres sinnfreien Jobs ist so naheliegend wie deprimierend: Sie programmiert einen Bot, der ihre Arbeit übernimmt. Warum auch nicht? Wenn der Content sowieso wertlos ist, kann ihn genauso gut eine Maschine produzieren. Die latente Angst, durch KI ersetzt zu werden, wird bei Hirschl einfach vorweggenommen – selbst durchgeführt, als letzter Akt der Selbstbestimmung in einem System, das längst keine Selbstbestimmung mehr kennt.
Währenddessen bricht draußen die Welt zusammen. Biblische Plagen suchen die Stadt heim, Löcher in den Straßen werden immer größer – aber niemand interessiert sich wirklich dafür. Solange der Content stimmt, solange die Klickzahlen passen, kann der Rest der Welt ruhig untergehen. Diese kolossale Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber dem drohenden Weltuntergang ist vielleicht der verstörendste Aspekt des Romans, weil er so nah an unserer eigenen Realität liegt.
Die Form des Romans selbst ist dem Internet nachempfunden: unbeständig, springt zwischen Textformen, kultiviert eine „Poesie des Glitches“. Hirschl verweigert sich der klassischen Erzählstruktur, weil die längst nicht mehr zu einer Welt passt, die sich selbst zerstückelt hat in Häppchen, Snippets, Listicles.
Daran musste ich denken, als ich den Post von Christian gelesen habe – vor allem, als es um das Thema der Bottalks ging (könnte man wie Botox aussprechen und meint im Endeffekt das Gleiche: fake is all around me). In Content hat die Protagonistin einen ganzen automatisierten Subreddit erstellt, der sich mit anderen Bots eine Redeschlacht liefert, die – logischerweise – irgendwann ausufert.
Ich fand es traumhaft erschreckend, und wie ein Kritiker schrieb: „Es ist postironisch – Ironie und Ernst sind nicht mehr voneinander klar trennbar.“ Wie die Kommentare von uns Menschen und die von den Bots. Alles verschwimmt.
Wer Bock auf das Buch hat: Die gute Buchhandlung um die Ecke kann es ebenso schnell besorgen wie das amerikanische Lieferunternehmen. Fun Fact für alle, die noch etwas für den nächsten Smalltalk mitnehmen möchten: Dein Buchhändler vor Ort und Amazon könnten auf dasselbe Großhandelslager (Barsortiment) zugreifen. Es ist also egal, ob du mit dem Hund beim Buchhändler vorbeigehst oder einfach den nächsten Bezosevent finanzierst.
Vielen Dank fürs Lesen und bis nächste Woche
#digitalpaddy
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