
Liebe Leserinnen und Leser,
letzte Woche habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe ein Foto geschossen – nichts Besonderes, eine Szene in einem Weinberg. Dann habe ich ChatGPT gefragt: «Beschreibe mir dieses Bild.»
Was zurückkam, war erstaunlich präzise. Die KI sah Details, die ich beim Fotografieren gar nicht bewusst wahrgenommen hatte. Das Licht, die Schatten, die Komposition – alles wurde in Worte gefasst, die einem Maler oder Fotografen als Anleitung hätten dienen können.
Dann der zweite Schritt: Ich habe diese Beschreibung genommen und in Sora eingegeben. Heraus kam ein Bild, das meinem Original ähnelte, aber nicht identisch war. Es war wie ein Stille-Post-Spiel zwischen Kamera, ChatGPT und Bildgenerator. Faszinierend und verstörend zugleich.
Das oben gezeigte Bild wurde von ChatGPT so beschrieben:
Auf dem Bild ist ein rustikales Steinportal zu sehen, das wie ein Eingang zu einem Weingut oder Bauernhof wirkt. Der Torbogen besteht aus grob behauenen Natursteinen mit einem Schieferdach. Durch den Bogen hindurch sieht man einen grünen Traktor mit Anhänger, der offenbar inmitten von Weinreben oder landwirtschaftlichen Flächen steht.
Im Hintergrund öffnet sich der Blick über eine weitläufige Landschaft, vermutlich ein Tal oder ein Weinanbaugebiet, mit sanften Hügeln und einzelnen Bäumen. Die Sonne steht tief am Himmel – vermutlich später Nachmittag – und wirft lange Schatten. Das Licht ist warm und klar, typisch für einen sonnigen Herbsttag.
Die Szene vermittelt Ruhe, ländliche Idylle und ein Gefühl von Handwerk und Naturverbundenheit – vielleicht während oder kurz nach der Weinlese.
Sora hat diese Beschreibung dann in folgendes Bild umgewandelt:
Die Frage hinter dem Experiment
Was bedeutet das eigentlich? Nicht technologisch, sondern für uns Menschen, die wir mit diesen Werkzeugen arbeiten?
Mir wurde klar: Die KI beschleunigt nicht nur unsere Fantasie. Sie macht sie übersetzbar. Wer früher gut fotografieren konnte, hatte ein Auge für Komposition, Licht und Moment. Dieses Auge ist jetzt Gold wert – nicht für die Kamera, sondern für den Prompt. Wer versteht, was ein gutes Bild ausmacht, kann der KI sagen, was sie erschaffen soll.
Umgekehrt gilt das Gleiche. Wer nie zeichnen konnte, aber Worte findet, kann plötzlich Bilder entstehen lassen. Der Grafiker in Worten wird zum Grafiker in Bildern. Die KI übersetzt zwischen den Sprachen unserer Sinne.
Der Thermomix der Kreativität
Genau hier liegt die Parallele zum Thermomix. Beide Maschinen machen etwas Ähnliches: Sie demokratisieren Können, ohne Können zu ersetzen.
Der Thermomix macht nicht jeden zum Koch. Aber er macht denjenigen zum besseren Koch, der bereits versteht, was gutes Essen ausmacht. Wer weiß, wie Risotto schmecken soll, kann das Gerät so steuern, dass es genau dieses Ergebnis liefert. Wer keine Ahnung hat, bekommt essbare Pampe.
Mit KI verhält es sich genauso. Sie macht nicht jeden zum Künstler oder Programmierer. Aber sie verstärkt die Fähigkeiten derjenigen, die bereits ein Gefühl für ihr Handwerk haben. Der Fotograf wird nicht obsolet – seine Expertise wird zur wertvollsten Zutat im Prompt.
Die Heuchelei der Kennzeichnungspflicht
Jetzt kommt der Punkt, an dem es unangenehm wird. Ausgerechnet die freien Künstler und Kreativen, die sonst jede Regulierung ablehnen, rufen nach Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Werke. Ausgerechnet diejenigen, die Freiheit predigen, wollen plötzlich staatliche Intervention.
Ich verstehe die Angst. Wirklich. Wer sein Geld damit verdient, Bilder zu malen oder Texte zu schreiben, sieht seine Existenz bedroht. Aber diese Angst macht die Forderung nicht weniger heuchlerisch.
Denn gleichzeitig interessiert es niemanden, ob ein Sternekoch seinen Thermomix benutzt hat. Auf keiner Speisekarte dieser Welt steht: «Dieses Risotto wurde mit maschineller Unterstützung zubereitet.» Niemand verlangt das. Warum? Weil wir verstanden haben, dass das Werkzeug nicht die Leistung des Kochs schmälert.
Das Fraunhofer IPK Institut berichtet bereits ausführlich darüber, wie KI im Weinbau eingesetzt wird. Von der Traubenreife-Erkennung bis zur Qualitätskontrolle. Macht das den Wein schlechter? Nein. Interessiert es den Konsumenten? Kaum. Verlangt jemand eine Kennzeichnung «Mit KI-Unterstützung produziert» auf der Flasche? Natürlich nicht.
Die unbequeme Wahrheit
Hier ist die Wahrheit, die niemand hören will: Kennzeichnungspflichten sind der verzweifelte Versuch, eine Entwicklung aufzuhalten, die längst nicht mehr aufzuhalten ist. Sie sind das Equivalent zum «Ich halte mir die Ohren zu und singe laut, damit ich die Realität nicht hören muss».
Aber noch schlimmer: Sie sind der Versuch, den Staat als Verbündeten zu gewinnen – ausgerechnet von denjenigen, die sonst maximale Freiheit fordern. Das ist nicht prinzipientreu. Das ist opportunistisch.
Was wirklich zählt
Sollte gekennzeichnet werden, was mit KI entstanden ist? In bestimmten Kontexten: ja. Wenn ein Arzt einen Befund erstellt und dabei KI-Unterstützung nutzt, will ich das wissen. Wenn ein Journalist einen Artikel schreibt und KI als Co-Autor fungiert, sollte das transparent sein. Nicht, weil das Ergebnis automatisch schlechter wäre, sondern weil Transparenz zur Verantwortung gehört.
Bei Kunst sehe ich das anders. Kunst war schon immer ein Spiel mit Täuschung und Illusion. Ein fotorealistisches Gemälde täuscht vor, eine Fotografie zu sein. Eine Fotografie täuscht vor, Realität abzubilden, obwohl sie manipuliert ist. KI-generierte Kunst ist nur die nächste Stufe dieses Spiels.
Was zählt, ist nicht das Werkzeug, sondern das Ergebnis. Bewegt mich das Bild? Berührt mich der Text? Schmeckt mir das Essen? Das sind die einzigen Fragen, die wirklich zählen.
Die Gewinner der KI-Revolution
Wer wird in dieser neuen Welt erfolgreich sein? Nicht diejenigen, die am lautesten nach Regulierung schreien. Nicht diejenigen, die sich hinter Kennzeichnungspflichten verschanzen. Und schon gar nicht diejenigen, die glauben, KI würde sie automatisch zu Genies machen.
Die Gewinner werden diejenigen sein, die bereits gut waren in dem, was sie tun. Die Fotografen mit einem Auge für Komposition. Die Autoren mit einem Gespür für Sprache. Die Köche mit einem Verständnis für Geschmack.
Denn KI ist kein Ersatz für Können. Sie ist ein Verstärker. Und Verstärker machen Gutes besser – aber Schlechtes bleibt schlecht, nur lauter.
Ein Experiment für euch
Macht selbst den Test. Nehmt eines eurer besten Fotos. Lasst ChatGPT es beschreiben. Gebt diese Beschreibung in Sora oder einen anderen Bildgenerator. Schaut euch das Ergebnis an.
Ihr werdet sehen: Die KI sieht manches, was ihr nicht gesehen habt. Aber sie versteht nicht, warum euer Bild gut ist. Sie kann die technischen Parameter erfassen, aber nicht die Seele des Moments.
Genau das ist eure Stärke. Nicht das Drücken des Auslösers. Sondern das Erkennen des Moments, in dem es sich lohnt, den Auslöser zu drücken.
Lesestoff: Wenn KI den Wein macht
Apropos Wein – passend zum Thema KI in der Produktion: Das Fraunhofer-Institut hat dokumentiert, wie künstliche Intelligenz den Weinbau revolutioniert. Von der Traubenreife-Erkennung über Qualitätskontrolle bis zur Ernteprognose.
Macht das den Wein schlechter? Nein. Interessanter? Auch nicht wirklich. Es ist ein Werkzeug. Wie der Thermomix in der Küche.
Mein Tipp für diese Ausgabe kommt vom Weingut Burnikel aus der Pfalz. Keine KI-Story, aber ehrliches Handwerk mit modernen Methoden. Wer wissen will, wie traditioneller Weinbau und zeitgemäße Technik zusammengehen, sollte die Weine probieren.
Ob bei der Produktion KI zum Einsatz kam? Wahrscheinlich. Interessiert es mich beim Trinken? Nein. Schmeckt er? Das ist die einzige Frage, die zählt.
Und noch ein Hinweis
In dieser Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse. Ich bin gespannt, wie dort über KI diskutiert wird. Ob mit Panik oder Pragmatismus. Ob mit Verbotsfantasien oder Visionen. Ich vermute: Es wird wild.
Wer von euch dort ist, schreibt mir gerne, was ihr erlebt. Welche Diskussionen geführt werden. Welche Positionen vertreten werden. Ich bin neugierig.
Bis nächste Woche mit neuen Entdeckungen zwischen Küche, Code und Kreativität!
Euer #digitalpaddy
P.S.: Falls ihr nach dem Lesen Lust bekommen habt, das Bild-Experiment nachzumachen – zeigt mir die Ergebnisse. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Manchmal sind die besten Erkenntnisse die, die wir selbst machen.
Übrigens mit dem Zusatz das Bild im Stil der neuen Sachlichkeit zu erstellen kam folgendes dabei heraus.
