
Ein Gedankenexperiment zwischen Risotto und Reasoning
Stellen wir uns vor, der Thermomix hätte die gleiche Entwicklungsgeschwindigkeit hingelegt wie ChatGPT, Claude oder Google Gemini. Dann wären wir heute nicht beim TM7, sondern bei… nun ja, bei etwas völlig anderem.
Die gemächliche Evolution des Thermomix
Schauen wir uns zunächst die tatsächliche Entwicklung an. Der Thermomix ist ein Paradebeispiel für durchdachte, nachhaltige Innovation:
- TM21 (2004): Der Pionier mit grundlegenden Funktionen, aber revolutionär für seine Zeit
- TM31 (2009): Mehr Power, präzisere Steuerung – 5 Jahre später
- TM5 (2014): Der erste mit Guided Cooking – weitere 5 Jahre später
- TM6 (2019): WLAN, mehr Modi, intelligentere Führung – wieder 5 Jahre später
- TM7 (2024): 3D-Rühren, erweiterte Sensoren, KI-Vorbereitung – erneut 5 Jahre später
Das sind 20 Jahre für fünf Generationen. Gemächlich, durchdacht, nachhaltig.
Die KI-Revolution im Zeitraffer
Vergleichen wir das mit der KI-Entwicklung seit 2022. Hier erleben wir einen echten Sprint ins Unbekannte:
ChatGPT-Familie:
- ChatGPT-3.5 (März 2022): Erste öffentliche Version
- ChatGPT-4 (März 2023): Multimodal, deutlich leistungsstärker – 12 Monate später
- GPT-4 Turbo (November 2023): Optimiert und günstiger – 8 Monate später
- GPT-4o (Mai 2024): Echtzeit-Konversation – 6 Monate später
- o1-preview (September 2024): Reasoning-Fähigkeiten – 4 Monate später
Claude-Familie:
- Claude 2 (Juli 2023)
- Claude 3 Familie (März 2024): Haiku, Sonnet, Opus
- Claude 3.5 Sonnet (Juni 2024)
- Claude 4 Familie (2025): Sonnet 4, Opus 4
Das sind innerhalb von etwa 2,5 Jahren mehr Entwicklungssprünge als der Thermomix in 20 Jahren gemacht hat.
Das Gedankenexperiment: Thermomix im KI-Tempo
Hätte Vorwerk mit der Geschwindigkeit der KI-Entwicklung gearbeitet, sähe die Timeline so aus:
Jahr 1 (2004): TM-GPT-3.5
- Grundfunktionen: Mixen, Rühren, Erwärmen
- Erste digitale Rezeptführung
- Einfache Sprachsteuerung
Jahr 2 (2005): TM-GPT-4
- Kamera zur Zutatenerkennung
- Automatische Menüplanung
- Lernt aus Kochverhalten
- Verbindung zu Lieferdiensten
Jahr 2.5 (2005): TM-4-Turbo
- 10x schnellere Verarbeitung
- Simultanes Kochen mehrerer Gerichte
- Holografische Kochanleitung
- Automatischer Einkauf basierend auf Vorräten
Jahr 3 (2006): TM-4o (Omni)
- Echtzeit-Geschmacksanpassung während des Kochens
- Augmented Reality Überlagerung der gesamten Küche
- Telepathische Bedienungsschnittstelle (nur ein Gedanke nötig)
- Direkter Download von Michelin-Stern-Koch-Erfahrungen
Jahr 3.5 (2006): TM-o1 (Reasoning)
- Entwickelt eigene Rezepte basierend auf Ernährungszielen
- Simuliert Geschmackserlebnisse vor dem Kochen
- Berücksichtigt kulturelle und emotionale Aspekte des Essens
- Kann komplexe Dinner-Partys für 50 Personen planen
Jahr 4 (2007): TM-4o-Advanced
- Molekulargastronomie auf Knopfdruck
- Züchtet eigene Zutaten in integrierten Hydrokulturen
- Nano-Roboter für Geschmacksmodifikation
- Quantencomputing für perfekte Temperaturkontrolle
Der Igel und der Hase: Eine alte Weisheit für neue Technologien
Erinnern Sie sich an die alte Fabel vom Wettlauf zwischen Hase und Igel? Der Hase sprintet los, überholt sich selbst vor lauter Geschwindigkeit und landet erschöpft im Graben. Der Igel hingegen geht seinen Weg gemächlich, aber stetig – und kommt als Erster am Ziel an.
In der Technologiewelt erleben wir gerade diese Fabel in Echtzeit: Die KI-Entwicklung ist der Hase – rasant, spektakulär, immer neue Sprünge. Jeden Monat ein neues Modell, jede Woche ein Update, jeden Tag ein Breakthrough. Atemberaubend, aber auch atemlos.
Der Thermomix hingegen ist der Igel der Küchentechnologie. Seit 20 Jahren geht er seinen Weg: bedächtig, durchdacht, zuverlässig. Während KI-Modelle kommen und gehen, mahlt der TM5 von 2014 immer noch seine Nüsse und mixt seine Suppen – und zwar perfekt.
Was der Igel vom Weg hat, was dem Hasen entgeht
Vertrauen durch Beständigkeit
Wer sein Familienessen einem Gerät anvertraut, braucht Verlässlichkeit. Der langsame Igel-Thermomix hat über Jahre bewiesen: Ich funktioniere. Jeden Tag. Bei jedem Rezept. Das schafft ein Vertrauen, das kein Sprint-Update je erreichen kann.
Nachhaltiger Wert
Ein TM5 ist heute, zehn Jahre nach seiner Einführung, immer noch ein wertvolles Küchengerät. GPT-3.5 von vor zwei Jahren? Schon Geschichte. Der Igel sammelt Wert an, während der Hase seine eigenen Spuren überholt.
Echte Meisterschaft
Wer jahrelang mit demselben Thermomix kocht, entwickelt echte Expertise. Man lernt die Feinheiten, die Tricks, die kleinen Geheimnisse. Bei KI-Modellen, die sich alle paar Monate komplett ändern, bleibt man ewig Anfänger.
Die Ruhe des Weges
Der Igel sieht die Landschaft, riecht die Blumen, bemerkt die Details. Im KI-Sprint verpassen wir oft, was eigentlich wichtig ist: nicht die nächste spektakuläre Funktion, sondern die perfekte Beherrschung dessen, was wir haben.
Warum KI-Geschwindigkeit bei Küchengeräten problematisch wäre
Sicherheitsaspekte
Ein Thermomix, der alle sechs Monate komplett neue Funktionen bekommt, wäre ein Sicherheitsalptraum. Während ein halluziniertes KI-Textfragment peinlich ist, könnte ein «experimenteller» Kochmodus buchstäblich die Küche abfackeln.
Nachhaltigkeit
Die physische Welt hat andere Regeln als die Software-Welt. Ein alle sechs Monate obsoletes Küchengerät wäre ein ökologisches Desaster. Der reale TM5 von 2014 funktioniert heute noch einwandfrei – das ist nachhaltige Entwicklung.
Benutzerfreundlichkeit
Stellen Sie sich vor, Sie müssten alle paar Monate komplett neue Bedienkonzepte für Ihr Küchengerät lernen. Die gemächliche Entwicklung ermöglicht es Benutzern, sich wirklich in ihr Gerät einzuarbeiten.
Kostenfaktor
KI-Modelle werden durch Software-Updates verbessert. Bei Hardware müsste jeder Entwicklungssprung ein neues Gerät bedeuten – unbezahlbar für normale Haushalte.
Die Weisheit unterschiedlicher Geschwindigkeiten
KI-Geschwindigkeit ist sinnvoll für:
- Software ohne physische Auswirkungen
- Bereiche mit niedrigen Sicherheitsrisiken
- Experimente und Iterationen
- Skalierbare digitale Lösungen
Thermomix-Geschwindigkeit ist sinnvoll für:
- Physische Produkte mit Sicherheitsrelevanz
- Langzeit-Investitionen der Verbraucher
- Nachhaltige Entwicklung
- Bewährte, zuverlässige Technologie
Die Hybrid-Zukunft
Interessant wird es, wenn beide Welten verschmelzen: Der TM7 ist bereits «KI-ready» und soll über Software-Updates neue Funktionen erhalten. Hier könnte tatsächlich eine KI-ähnliche Entwicklungsgeschwindigkeit in der Küche ankommen – allerdings nur für die Software-Features, nicht für die Hardware.
Lesestoff für Igel-Naturen: Kadette Pinotage 2022 von Kanonkop
Apropos Igel-Philosophie: Es gibt Weine, die ebenfalls den langen, durchdachten Weg gehen. Der Kadette Pinotage 2022 aus dem Hause Kanonkop ist so einer.
Pinotage ist wie der Thermomix der südafrikanischen Weinwelt: 1925 in Stellenbosch entwickelt, seither bewährt, nie überholt. Diese Kreuzung aus Pinot Noir und Cinsault macht keine Kompromisse und entschuldigt sich nicht für ihren Charakter. Während andere Rebsorten Mode-Trends folgen, geht Pinotage seit 100 Jahren seinen eigenen Weg.
Ein Wein mit Igel-Mentalität
Der Kadette Pinotage macht sofort klar, aus welchem Holz er geschnitzt ist – im wahrsten Sinne des Wortes. Zwölf Monate französische Eiche, rauchig-erdige Aromen, die Kraft von roter Bete und Maraschino-Kirschen. Das ist kein Wein, der sich anbiedert oder gefallen will. Er ist, was er ist: charakterstark, kräftig, unverfälscht.
Im Glas zeigt er ein intensives Purpurrot und riecht nach Pflaumen, Maulbeeren, Vanille und Piment. Am Gaumen dann typisch Pinotage: erdig, würzig, mit perfekter Balance aus Frucht, Tanninen und Säure. Kein Leisetreter, aber ein Gentleman mit Prinzipien.
Die Igel-Weisheit im Glas
Wie Robert Parker einst sagte: Wer Pinotage verstehen will, sollte ihn bei Kanonkop probieren. Dieser Wein verkörpert die Igel-Philosophie perfekt: Beständigkeit über Spektakel, Charakter über Kompromisse, bewährte Qualität über schnelle Trends.
Ein Wein für alle, die wissen, dass das Beste oft entsteht, wenn man seinem Weg treu bleibt – egal, wie viele Hasen vorbeisprinten.
Fazit: Die Igel-Weisheit für unser digitales Zeitalter
Während wir uns über die rasante KI-Entwicklung wundern und manchmal überfordert fühlen, können wir beim Thermomix sehen, dass auch langsamere, durchdachtere Innovation ihre Vorzüge hat.
Ein TM5 von 2014 kann heute noch jedes Risotto perfekt zubereiten. Ob ein KI-Modell von 2022 heute noch state-of-the-art ist? Eher nicht.
Vielleicht ist die Lektion des Igels: Die richtige Geschwindigkeit für die richtige Anwendung. KI darf der Hase sein – experimentieren und sich schnell entwickeln. Küchengeräte sollten lieber der Igel bleiben – zuverlässig und nachhaltig.
Und manchmal ist es gut, wenn nicht alles mit Lichtgeschwindigkeit voranprescht. Sonst hätten wir heute zwar den TM-Quantum-3000, aber keine Ahnung, wie man ohne ihn auch nur ein Ei kocht. Der Igel hingegen weiß noch, wie man Feuer macht, wenn der Strom ausfällt.
Dieser Artikel stammt aus dem Newsletter «KI, Thermomix und Lesestoff» – dem Newsletter, der Küchentechnologie, künstliche Intelligenz und Genusskultur auf einzigartige Weise verbindet.