Ölgemälde im Stil der Neuen Sachlichkeit, das einen Mann im Profil mit einem geometrischen Trigeminusnerv-Diagramm auf dem Gesicht zeigt. Die Zahlen '48–72' und die strenge, kühle Ästhetik des Bildes wirken wie ein gesundheitlicher Warnschuss.
Als die Gürtelrose kam – und was ich daraus gelernt habe

Ich sitze hier mit einer Tasse Darjeeling und überlege, wie ich diese Geschichte erzählen soll. Es ist eine dieser Geschichten, die man nicht unbedingt auf LinkedIn teilen würde – aber vielleicht gerade deshalb erzählt werden muss. Denn es geht um etwas, das statistisch gesehen etwa jede dritte Person irgendwann erwischt – und über das trotzdem kaum jemand spricht, bis es einen selbst trifft.

Es geht um Gürtelrose. Herpes Zoster, wenn man es medizinisch korrekt ausdrücken will. Klingt harmlos, ist es aber nicht.

Das Kribbeln, das nicht weggehen wollte

Es fing scheinbar harmlos an: ein Kribbeln am Kopf, ein diffuses Gefühl im Gesicht, als wäre da etwas, das nicht dahingehört. Schwer zu beschreiben. Es war nicht wirklich schmerzhaft, eher irritierend. Als würde jemand mit einem feinen Pinsel über die Haut streichen – von innen. Nach 24 Stunden wurde mir klar: Das verschwindet nicht einfach wieder.

Ich bin zum ärztlichen Notdienst gefahren. Rückblickend war das die wichtigste Entscheidung. Denn bei Gürtelrose zählt Zeit. Die ersten 48 bis 72 Stunden sind das Zeitfenster, in dem eine antivirale Therapie wirklich etwas bewirken kann. Danach hat das Virus oft bereits zu viel Schaden angerichtet.

Der diensthabende Arzt reagierte sofort: Herpes Zoster im Gesicht. Nicht der „klassische Gürtel“ am Brustkorb, sondern entlang des Trigeminusnervs. Das ist deutlich unangenehmer, weil dieser Nerv direkt ins Gesicht zieht – und die Nähe zum Auge ein zusätzliches Risiko bedeutet. Ich wurde direkt ins Krankenhaus eingewiesen.

Eine Woche habe ich dort verbracht: Infusionen mit Virostatika, die die Vermehrung des Virus bremsen sollten. Und Schmerztherapie, denn inzwischen waren die Schmerzen da. Ich habe in dieser Zeit etwas Entscheidendes gelernt: Nicht die Bläschen sind das Problem – so unschön sie aussehen. Sie heilen ab. Das eigentliche Problem sind die Nervenbahnen. Das Virus wandert entlang der Nervenfasern, entzündet sie, beschädigt sie. Die Schmerzen, die daraus entstehen, sind neuropathisch: brennend, elektrisierend, manchmal wie tausend Nadelstiche gleichzeitig.

Vom Krankenhaus ging es direkt zum Schmerztherapeuten. Nicht „irgendwann später“, sondern sofort. Denn wenn man Nervenschmerzen nicht frühzeitig und konsequent behandelt, steigt das Risiko, dass sie sich festsetzen. Dann kann daraus eine Post-Zoster-Neuralgie werden – ein Schmerz, der bleibt, obwohl die akute Infektion längst vorbei ist. Der Körper ist erschreckend präzise darin, Schmerz zu speichern.

Was niemand einem vorher sagt

Es gibt Dinge an Gürtelrose, die man erst versteht, wenn man sie erlebt hat. Zum Beispiel, dass die Symptome zeitversetzt kommen: erst das diffuse Kribbeln, dann die Hautveränderungen – und manchmal bleiben die Nervenschmerzen, obwohl die Bläschen schon längst verschwunden sind. Heilung verläuft nicht linear.

Und: Stress spielt eine entscheidende Rolle. Nicht im Sinne von „Reg dich nicht so auf“, sondern im biologischen Sinne. Chronisch erhöhtes Cortisol kann Immunprozesse beeinflussen – und genau das kann Viren wie dem Varizella-Zoster-Virus die Tür öffnen. Es schlummert im Körper und wartet auf eine Gelegenheit.

Rückblickend war es bei mir eine Mischung aus zu viel Arbeit, zu wenig Schlaf und dem Gefühl, dauerhaft unter Dampf zu stehen. Irgendwann hat mein Körper die rote Flagge geschwenkt. Nur habe ich sie zunächst nicht gesehen.

Die Impfung – besser spät als nie

Nach der akuten Phase – als die Bläschen abgeheilt waren und die Nerven noch Zeit brauchten – stand ich vor der Frage: Wie verhindere ich, dass das noch einmal passiert? Denn ja: Gürtelrose kann wiederkommen. Das Virus verschwindet nicht. Es zieht sich zurück und bleibt im Nervengewebe.

Mein Hausarzt empfahl mir die Impfung mit Shingrix. Ein Totimpfstoff, der seit einigen Jahren verfügbar ist und – anders als der frühere Lebendimpfstoff – auch bei Menschen über 50 eine sehr hohe Wirksamkeit hat. Zwei Impfdosen im Abstand von einigen Monaten, fertig.

Ich habe nicht lange überlegt. Wer diese Art von Nervenschmerzen einmal erlebt hat, will kein zweites Mal durch diese Phase. Die Impfung war unangenehm, der Arm tat ein paar Tage weh – aber das war nichts im Vergleich zu dem, was ich hinter mir hatte.

Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung übrigens für alle ab 60. Wer jünger ist und bestimmte Vorerkrankungen hat – zum Beispiel Diabetes, chronische Lungenerkrankungen, Rheuma oder ein geschwächtes Immunsystem – sollte das Thema oft schon ab 50 ansprechen. Ich gehöre inzwischen zu denen, die es im eigenen Umfeld immer wieder empfehlen: Es ist eine der wenigen Maßnahmen, bei denen man wirklich das Gefühl hat, sich selbst einen großen Gefallen zu tun.

B12 und die Nerven

Parallel dazu habe ich mich um die Regeneration der Nerven gekümmert. Mein Arzt schlug eine Vitamin-B12-Therapie vor. B12 ist wichtig für Prozesse rund um Nerven und ihre „Isolierung“ – vereinfacht gesagt: für Strukturen, die helfen, Signale sauber weiterzuleiten. Wenn eine Infektion Nerven reizt oder beschädigt, kann Unterstützung sinnvoll sein.

Ich bekam mehrere Wochen lang hochdosiertes B12, zunächst als Injektion, später als Tabletten. Ob es der entscheidende Faktor war, lässt sich natürlich nicht beweisen – man weiß ja nie, wie es ohne verlaufen wäre. Aber die Nervenschmerzen sind über die Monate hinweg tatsächlich zurückgegangen. Langsam, aber kontinuierlich.

Was ich gelernt habe: Nerven heilen nicht über Nacht. Man braucht Geduld – und man muss dem Körper geben, was er braucht.

Basenfasten – mit einer wichtigen Fußnote

Irgendwann kam der Wunsch nach einem Reset. Eine Basenkur schien mir dafür geeignet. Das Prinzip: Man lässt vieles weg, was als „säurebildend“ gilt – Fleisch, Milchprodukte, Getreide, Kaffee, Alkohol, Süßigkeiten – und isst stattdessen viel Gemüse, Obst und Kräuter.

Ob das Konzept wissenschaftlich wirklich so eindeutig ist, darüber kann man diskutieren. Aber ich wollte es ausprobieren. Nach der Infektion fühlte ich mich erschöpft und hatte das Bedürfnis, meinem Körper etwas Gutes zu tun.

Also habe ich zwei Wochen lang Basenfasten gemacht: viel Gemüse, viel Obst, viel Tee. Es war überraschend gut machbar. Ich fühlte mich leichter, die Verdauung lief besser, und meine Energie kam Stück für Stück zurück.

Die Fußnote, die ich erst später verstanden habe: Nach einer Herpes-Infektion sollte man bei bestimmten Lebensmitteln genauer hinschauen. Viele typische „Basenfasten-Snacks“ sind reich an Arginin (z. B. Nüsse, Kerne, Schokolade, Rosinen). Arginin kann Herpesviren begünstigen; Lysin wird häufig als Gegenspieler diskutiert. Das ist nicht schwarz-weiß – aber es kann einen Unterschied machen, wenn man gerade in der Regenerationsphase ist.

Ich hatte Glück, weil ich intuitiv eher zu Kartoffeln, Äpfeln und Gemüse gegriffen habe – Lebensmittel mit einem günstigeren Verhältnis. Wer das Thema ernst nehmen will, kann in dieser Phase Nüsse und Kerne reduzieren und stattdessen lysinreichere Optionen einbauen. Und ja: Das passt nicht immer zum „strengen“ Basenfasten – aber Regeneration ist manchmal wichtiger als ein Konzept.

Stress reduzieren – leichter gesagt als getan

Der schwierigste Teil war nicht Ernährung oder Impfung, sondern der Umgang mit Stress. Denn wenn Stress der Auslöser war, reicht es nicht, nur an Symptomen herumzuschrauben. „Stress reduzieren“ klingt nach Kalender-Spruch – bis der Körper einen zwingt, es ernst zu nehmen.

Ich habe versucht, Dinge zu ändern: mehr Pausen, bessere Schlafhygiene, weniger Perfektion im Alltag. Das klingt banal, ist aber verdammt schwer, wenn man jahrelang in einem anderen Modus gelebt hat.

Was mir geholfen hat, war ein Perspektivwechsel: Stressvermeidung ist keine Esoterik, sondern Biologie. Cortisol ist messbar. Und die Auswirkungen auf den Körper sind spürbar. Ich habe nicht plötzlich Tai Chi für mich entdeckt – aber ich habe angefangen, regelmäßig spazieren zu gehen. Und ich habe gelernt, öfter Nein zu sagen. Nicht zu allem. Aber zu mehr als früher. Es ist ein Prozess, der noch läuft.

Was bleibt

Die Gürtelrose war ein Warnschuss. Ein Hinweis darauf, dass das Immunsystem nicht unendlich belastbar ist – und dass der Körper irgendwann die Notbremse zieht, wenn man dauerhaft überzieht.

Ich bin froh, dass ich schnell reagiert habe, dass die Impfung erledigt ist, dass ich die B12-Therapie ausprobiert habe und dass ich bei Ernährung und Regeneration genauer hinschaue. Vor allem aber bleibt ein Bewusstsein, das ich vorher so nicht hatte: Chronischer Stress ist keine Kleinigkeit. Man braucht Regenerationsphasen. Und man kann nicht ewig so tun, als wäre man unverwundbar.

Wenn ihr zu der Generation gehört, die langsam in das Alter kommt, in dem das Varizella-Zoster-Virus aufwachen könnte: Redet mit eurer Hausärztin oder eurem Hausarzt über die Impfung. Achtet auf euren Stresspegel. Und wenn ihr Basenfasten machen wollt: Lasst die Nüsse in der Regenerationsphase eher weg – oder schaut zumindest bewusst hin.

Der Körper wird es euch danken.

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