Ach, 2014! Als Social Media noch nicht den Ton angab und die Deutschen beim Thema Wein und Erotik rotere Köpfe bekamen als bei einer verpfuschten Rotweinverkostung. Da philosophierte man über päpstliche Weinberg-Metaphern, beklagte die Prüderie im deutschen Weinmarketing und schielte neidisch nach Österreich, wo Jungwinzerinnen-Kalender schon längst zum PR-Repertoire gehörten. Deutsche Weinköniginnen im «biederen Jungakademikerinnenlook», zaghafte Versuche freizügiger Fotografie und die große Gretchenfrage: «Nackte deutsche Weinhoheiten – ja oder nein?» Ein Blauarsch-Chardonnay galt bereits damals als revolutionär provokant.

Nun, elf Jahre sind ein paar Schlucke mehr als nur ein Viertelliter – die Welt hat sich ziemlich geändert, würde ich sagen (Zu meinem damaligen Beitrag).


Wenn ich heute durch die deutsche Weinlandschaft scrolle, ist das ein bisschen wie ein Besuch im Museum der eigenen Naivität. 2014, als ich über die Prüderie der deutschen Weinbranche schrieb, war die Diskussion um erste verbindliche Social-Media-Richtlinien für Alkoholwerbung noch in weiter Ferne. Heute erleben wir das komplette Gegenteil: Seit August 2024 gelten strengste Regeln für Weingüter, Händler und Influencer bei der Kommunikation in sozialen Medien.

Vom Erotikkalender zur Instagram-Story

Die Zeiten, in denen man über einen frechen Winzerinnen-Kalender diskutierte, sind vorbei. Der österreichische Jungwinzerinnen-Kalender, der 2012 bereits in der neunten Auflage erschien, läuft bis heute – 2018 zierte sogar die Veltlinerland-Weinkönigin Sandra Wötzl eines der Kalenderblätter. Ein Konzept, das in Deutschland undenkbar wäre, aber dort mit einer Auflage von 4.000 Stück zum PR-Klassiker geworden ist.

Nicht weil wir prüder geworden wären, sondern weil das Marketing heute ganz anders funktioniert. Instagram führt mit 35 Prozent täglicher Nutzung die Social-Media-Statistiken in Deutschland an, und dort passiert authentische Weinvermarktung in Echtzeit. Björn Bittner erreicht über 60.000 Wein-Fans auf Instagram, Jana Kreilein als «The Wine Girl» knapp 70.000 Follower – Zahlen, die 2014 noch Science-Fiction gewesen wären.

Erotik-Pionierarbeit aus Franken

Paradoxerweise waren es 2015 deutsche Männer, die den Erotik-Durchbruch wagten: Zwölf junge Winzer aus Franken überraschten mit einem frechen Akt-Kalender «Weininsel’s Most Wanted». Sie zogen blank, inszenierten sich nackt bei der Weinbergsarbeit – nur mit Werkzeug oder Weinreben bedeckt. Der Kalender verkaufte sich gut, 2025 folgte sogar ein Comeback mit den nun reiferen Herren in Schwarzweiß.

Der Pornfelder-Skandal

2013 landete der Pfälzer Jungwinzer Lukas Krauß einen besonderen Coup: Er erfand den «Pornfelder» – ein Wortspiel aus Portugieser und Dornfelder. Das Etikett zeigte gezeichnete Pin-up-Motive, Frauen in Strapsen, die genüsslich mit Trauben spielen. Binnen sechs Wochen war der Wein ausverkauft, die ersten 3.000 Flaschen gingen weg «wie geschnitten Brot». Der PR-Stunt auf der ProWein-Messe bescherte ihm riesige Aufmerksamkeit und machte den «Pornfelder» zum «It-Girl unter den Weinen», wie der Stern schrieb.

Die neue Weinwelt ist weiblich

Was 2014 noch revolutionär klang, ist heute Realität: In Carnuntum werden fast 60 Prozent der gefüllten Flaschen binnen der nächsten fünf Jahre von Frauen verantwortet. Christine Netzl, Karoline Taferner, Johanna Markowitsch – Namen, die heute längst keine Exotik mehr darstellen.

2021 wagten deutsche Winzerinnen einen eigenen Schritt: Ein Team aus Speyer initiierte per Crowdfunding einen «Fräuleinwunder-Kalender» – keinen platten Erotik-Kalender, sondern einen Fine-Art-Fotokalender für den guten Zweck. Zwölf Pfälzer Winzerinnen wurden in stilvollen Schwarzweiß-Porträts abgelichtet, mit nur 250 Exemplaren Auflage und Spendenanteil fürs Frauenhaus.

Social Media statt Schweinerei

2014 war Wein-Content noch ein Nischending für Foren und Facebook-Gruppen. Heute ist das eine eigene Industrie. Johannes Quernheim hat für seine Karriere als Content Creator kurzerhand seinen Job in einem Start-up gekündigt und erreicht mit seinem Instagram-Account bereits rund 74.000 Follower. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt mit Wein-Content – das wäre 2014 noch Science-Fiction gewesen.

Neben klassischen Diskussionen über Bodentypen sind neue Trends getreten: Naturwein hat seit den späten 2010ern enorm an Aufmerksamkeit gewonnen. Junge Winzerinnen und Winzer stellen auf nachhaltige, ungefilterte Weine um – ein spannender Gegenentwurf zum Mainstreamwein.

Die Regulierungswelle

Während wir 2014 noch über die Grenzen des guten Geschmacks philosophierten, hat der Deutsche Werberat inzwischen wasserdichte Regelungen geschaffen: Werbung für alkoholhaltige Getränke darf nicht an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren gerichtet werden. Unternehmen müssen sogar die für sie im Auftrag handelnden Influencer darauf hinweisen, bei jeglicher kommerziellen Kommunikation für alkoholische Getränke die Verhaltensregeln des Deutschen Werberates einzuhalten.

Das Paradox der neuen Offenheit

Während 2014 noch die Liberalisierung der Weinwerbung diskutiert wurde, beklagen heute kleinere Betriebe die hohe Belastung durch immer mehr Regularien und Bürokratie. «Am Ende brauche ich dann 5 Prozent mehr Personal», sagt Andrea Wirsching vom fränkischen Weingut Hans Wirsching.

Gleichzeitig zeigt die Branche neue Offenheit bei anderen Themen: 2023 wurde eine gebürtige Ukrainerin Weinprinzessin in Thüringen – was anfangs einen unschönen Online-Shitstorm rechter Kreise auslöste, am Ende aber eine Welle der Solidarität nach sich zog.

Die neue Nüchternheit

Vielleicht ist das der größte Wandel: 2014 suchte man noch nach dem Tabubruch, dem provokativen Moment. Heute geht es um Substanz, um echte Geschichten, um Menschen hinter dem Wein. «Oftmals wird vergessen, dass hier die Zukunft liegt und der Weintrinker von morgen sich nicht unbedingt mit Zeitschriften auseinandersetzt oder sich die nächste Weinsendung auf Arte sieht», sagt Johannes Quernheim.

Eine Untersuchung der Weingeschichte Rheinhessens stellte 2022 fest, dass erotische Motive auf deutschen Weinetiketten nach wie vor selten sind – und wenn, dann meist weibliche Reize zeigen. Stattdessen setzt man lieber auf subtile Sinnlichkeit oder Humor: Weine mit Namen wie «Wildsau», «Feuchte Traube» oder den erwähnten «Blauarsch», die sich an der Grenze zum Schmunzeln bewegen.

Die Revolution ist da

Die Revolution ist da – sie ist nur viel leiser und viel digitaler als gedacht. Statt nackter Haut gibt es nackte Zahlen: Reichweiten, Engagement-Raten, Conversion-Metrics. Der Blauarsch-Chardonnay von 2014 wirkt heute harmlos gegen einen gut durchdachten Instagram-Auftritt mit 70.000 Followern.

Aus der großen Gretchenfrage ist eine ganz andere geworden: Nicht mehr «Nackt oder nicht?», sondern «Wie bleibe ich in der digitalen Kakophonie authentisch?» Die Antwort darauf ist komplex wie ein großer Burgunder – und genau so lohnenswert.

Ein Erotik-Kalender mit deutschen Weinköniginnen bleibt vorerst hypothetisch. Doch die Diskussion von 2014 hat Spuren hinterlassen: Sie hat einen Anstoß gegeben, verkrustete Marketing-Ideen zu überdenken. Heute flirtet deutsches Weinmarketing gelegentlich mit der nackten Wahrheit – aber stets mit Charme und Maß: Die Würde im Weinberg bleibt gewahrt.

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