Ich scrolle durch die Nachrichten und stolpere über die Meldung: «Der letzte Bulle» geht in die Verlängerung. Sechste Staffel. Mick Brisgau ist zurück. Das macht mich neugierig, und ich tue das, was man tut, wenn man sich an etwas erinnern will: Ich grabe in meinem eigenen Archiv.
Ich finde einen alten Blogbeitrag von mir aus dem Jahr 2010 – damals, als die Serie gerade startete. Ich lese ihn wieder, diesen Text von vor fünfzehn Jahren, und merke, wie sich die Zeit verschoben hat. Was ich damals schrieb, klingt heute anders. Nicht falsch, aber anders. Die Welt hat sich weitergedreht, und ich mit ihr.
Also sitze ich jetzt hier und denke nach. Über Mick Brisgau, über die Rückkehr eines Helden aus einer anderen Zeit, über den Macho mit Herz, der Mann aus einer Ära, in der Sprüche noch Sprüche waren und niemand danach fragte, ob das jetzt irgendwen triggern könnte. Und ich denke mir: Das ist entweder wahnsinnig mutig oder wahnsinnig dumm. Wahrscheinlich beides.
Ein Schutzschild namens Streaming
Was mich sofort fasziniert: Die Serie kommt nicht direkt zurück ins Free-TV. Nein, sie startet bei Amazon Prime Video. Ein cleverer Schachzug, wenn man mich fragt. Streaming ist der geschützte Raum unserer Zeit, das Reservat für alles, was im linearen Fernsehen sofort zum Shitstorm führen würde. Wer bei Prime einschaltet, weiß, worauf er sich einlässt. Das ist kein zufälliges Reinzappen beim Abendessen, sondern eine bewusste Entscheidung.
Erst wenn sich der Sturm gelegt hat oder gar nicht erst aufzieht, wird Mick Brisgau zurück zu Sat.1 kehren. Dorthin, wo alles begann. Das ist kein Vertriebsmodell, das ist Reputationsmanagement. Die Macher wollen wissen, wie laut die Empörung wird, bevor sie ihren Helden wieder ins offene Gelände schicken.
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Ein Mann aus der Zeit gefallen
Ich habe mir die alten Folgen angeschaut, damals, als die Serie zum ersten Mal lief. Mick Brisgau war charmant, weil er aus der Zeit gefallen war. Seine Sprüche waren witzig, weil sie durch die Koma-Geschichte entschuldigt wurden. Er durfte der Macho sein, weil er es nicht besser wusste. Das war der Deal.
Heute ist dieser Deal hinfällig. Heute ist Brisgaus Weltbild kein niedlicher Anachronismus mehr, sondern ein kultureller Sprengsatz. Die Gesellschaft hat sich weitergedreht, und zwar rasant. Was damals als Retro-Charme durchging, ist heute ein Statement. Jeder Satz von ihm wird nicht mehr als Witz gehört, sondern als Position.
Und genau das macht die Rückkehr so unglaublich spannend.
Zwischen Sehnsucht und Empörung
Wir leben in einer Zeit, in der sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen. Die einen sehnen sich nach Klartext, nach jemandem, der einfach mal sagt, was Sache ist, ohne drei Absätze Disclaimer vorneweg. Die anderen fordern Sensibilität, reflektierte Sprache, Bewusstsein für Macht und Diskriminierung.
«Der letzte Bulle» wird zur Projektionsfläche für beide Seiten. Brisgau ist der Test: Wie viel Unangepasstheit verträgt unsere Gesellschaft noch? Wie viel Sprache darf sein, bevor sie kippt?
Henning Baum verteidigt seinen Charakter als Mann mit Haltung. Die Sprüche seien Taktik, der moralische Kompass bleibe klar. Aber in der heutigen Kultur zählt weniger die Absicht als die Wirkung. Jeder Satz wird sofort unter die Lupe genommen, seziert, bewertet.
Episodentitel als Kulturkampf
Ich schaue mir die Titel der neuen Folgen an: «Mord im Puppenpuff», «Pink Power». Die Serie geht aufs Ganze. KI-Sexualität, Feminismus, Influencer-Kultur. Das sind keine harmlosen Krimiplots mehr, das sind gesellschaftliche Minenfelder. Und Brisgau steht mittendrin, mit seinen Sprüchen, seiner Haltung, seinem ganzen Gestus.
Er verkörpert jene Generation, die das Gefühl hat, nicht mehr alles sagen zu dürfen. Die sich bevormundet fühlt von einer Welt voller Regeln, Triggerwarnungen und Filter. Und genau deshalb wird diese Generation einschalten. Nicht trotz der Provokation, sondern wegen ihr.
Warum das funktionieren wird
Der Reiz liegt in der Reibung. «Der letzte Bulle» ist kein nostalgisches Remake, das uns zurück in die gute alte Zeit holen will. Es ist ein Kommentar auf die Gereiztheit unserer Gegenwart. Die Serie bedient ein Bedürfnis, das viele empfinden, aber selten laut aussprechen: den Wunsch nach Authentizität in einer Welt, die sich manchmal anfühlt wie ein einziges großes Missverständnis.
Während der Tatort bemüht ist, es allen recht zu machen, setzt «Der letzte Bulle» auf bewusste Zuspitzung. Das ist riskant. Aber im polarisierten Markt unserer Zeit auch ökonomisch clever. Polarisierung verkauft sich. Und Streaming ist der ideale Ort, sie zu testen.
Was bleibt
Ich frage mich, während ich diese Zeilen schreibe, ob Mick Brisgau zum letzten Vertreter einer aussterbenden Fernseh-Gattung wird oder zum Helden einer neuen Anti-PC-Generation. Wahrscheinlich wird er beides sein, je nachdem, wen man fragt.
Eines weiß ich: Im geschützten Raum von Prime kann die Serie atmen, bevor sie sich in den Windkanal der öffentlichen Meinung wagt. Und vielleicht ist das die richtige Reihenfolge für alles, was heute noch laut, kantig und unbequem sein will.
Ich werde einschalten. Nicht, weil ich nostalgisch bin. Sondern weil ich neugierig bin, wie weit man heute noch gehen kann, bevor die Grenzen zuschlagen.
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