Eine alte deutsche Dampflok als Sichtbarkeitsbooster für den FRankfurter Weihnachtsmarkt steht qualmend am Haltepunkt Eiserner Steg

Trainspotting 2.0

Die Deutsche Bahn ist das LinkedIn-Kokain der deutschen Business-Bubble. Ich habe keine belastbaren Zahlen, aber gefühlt kreisen mindestens 15% aller Beiträge um dieses momentan glorreich gescheiterte Staatsunternehmen. Manche nennen es noch «Bundesbahn», als wäre die Nostalgie ein Schutzschild gegen die Gegenwart.

Der klassische Trainspotter von früher – dieser sympathische Nerd mit Thermoskanne am Bahnsteigrand – hat sich zum LinkedIn-Bahninquisitor weiterentwickelt. Statt Zugnummern zu notieren, dokumentiert er jetzt die kleinen Katastrophen des Bahnalltags. Mit einem Detailgrad, der an forensische Untersuchungen erinnert.

Da ist der Schoki-Chronist, der seine Follower mit Nahaufnahmen der «Liebe Gast»-Schokolade beglückt. Als wäre diese industriell produzierte Süßigkeit ein kulinarisches Weltwunder und nicht einfach nur das, was sie ist: billiger Zuckerrost für unterzuckerte Geschäftsreisende. Dann der WLAN-Dokumentarist, der die Lückenhaftigkeit der Bahnkonnektivität feiert – während er offenkundig nicht verstanden hat, dass die DB weder Mobilfunkmasten baut noch Frequenzen vergibt. Das ist ungefähr so sinnvoll, wie den örtlichen Energieversorger für die magere Sonneneinstrahlung auf der eigenen PV-Anlage verantwortlich zu machen.

Die Bahn ist zum Reizthema für Menschen geworden, die sonst im Stau stehen oder in Flughafenterminals campieren. Unpünktlichkeit – tatsächlich ein echtes Problem – wird zum Rabbit Hole des eigenen Businesstriptraumas. Jede Verspätung ein Content-Moment. Jeder ausgefallene ICE eine Heldengeschichte des leidgeprüften Managers.

Ich habe mich gefragt, wann mir das erste Mal aufgefallen ist, dass Trainspotting 2.0 zur Lieblingsbeschäftigung unterforderter Führungskräfte geworden ist. Vermutlich als ich begriffen habe, dass es perfekte Bedingungen schafft: Man sitzt fest, hat WLAN (manchmal), ist emotional aufgewühlt (immer) und braucht ein Ventil. LinkedIn liefert die Bühne. Die Bahn das Drehbuch.

Es fördert den Schreibfluss. Es erhöht die Sichtbarkeit. Es wird zum Kernbestandteil des Personal Brandings. Die Deutsche Bahn ist für diese neue Spezies von Trainspottern ein Sichtbarkeitsbooster, der weit über jede Premium-Funktion hinausgeht. Ein Content-Lieferant, der nie streikt – selbst wenn die Züge es tun.

Was für ein Geschäftsmodell. Für LinkedIn, wohlgemerkt. Nicht für die Bahn.

Ein Dank an alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner die jeden Tag einen ordentlichen Job machen und uns auf kurzen und langen Reisen sicher von A nach B bringen.

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