Coaches, KI und der Traum vom mühelosen Bestseller

Von Pech zu Kohle? Warum KI keine Autoren macht

Ich mag Instagram. Scrolle dort gerne von oben nach unten, hauptsächlich wegen der Kochrezepte. Wie früher die Leute, die den Playboy wegen der Witze und Interviews gelesen haben – die waren übrigens tatsächlich oftmals gut. Nur dass Instagram längst zu einem roten Teppich für Werbung geworden ist, und Meta nicht sonderlich zimperlich dabei, welche Produkte und Versprechen dort angepriesen werden dürfen. Money makes the world go around.

Und da ist es, zwischen Pasta-Reels und Fitness-Transformationen: das Angebot, um das es hier und heute gehen soll. «Mit wenig Einsatz machen wir mit KI dein Buch zum Spiegel-Bestseller.»

Wenig Einsatz. Spiegel-Bestseller.

Ich halte inne, lese nochmal. Der Absender? Ein Coach. Natürlich ein Coach.

Es sind immer Coaches.

Dieselben Leute, die vor drei Jahren noch «Personal Branding für Einsteiger» verkauft haben, vor zwei Jahren «Manifestiere deinen Erfolg» und letztes Jahr «ChatGPT für dein Business». Jetzt also: «KI macht dich zum Bestseller-Autor». Das Werkzeug wechselt, die Masche bleibt. Und die Botschaft ist immer dieselbe: Du brauchst keine Substanz, du brauchst nur das richtige Tool. Und natürlich meinen Kurs.

Ich habe mich gefragt, ob ich zynisch geworden bin. Ob meine Jahre zwischen Werbeagenturen, Buchprojekten und diesem ewigen Ringen um authentische Worte mich blind gemacht haben für neue Möglichkeiten. Vielleicht ist KI tatsächlich der Durchbruch, den das Schreiben brauchte? Vielleicht bin ich einfach ein Gatekeeper, der seine Privilegien verteidigt?

Dann erinnere ich mich an die Manuskripte, die ich gelesen habe. Während wir an Narratiq gearbeitet haben – diesem Werkzeug zur Manuskriptanalyse für Verlage – bin ich durch Berge von Texten gewatet. Freunde aus Verlagen haben mir ihre Exposés gezeigt, ihre Leseproben, ihre verzweifelten Notizen am Rand. Und in den letzten Monaten hat sich etwas verändert. Der Stapel wird höher, die Texte werden glatter. Perfekt strukturiert, makellos formatiert, vollkommen austauschbar.

Sie klingen alle gleich. Nach einer statistischen Mittelung dessen, was ein Roman sein sollte. Nach Algorithmus. Nach… nichts.

Es ist, als hätte jemand alle Bücher der Welt in einen Mixer geworfen und würde jetzt den Smoothie in unterschiedlich beschriftete Flaschen füllen. «Romantischer Thriller», «Familiensaga», «Coming-of-Age-Geschichte» – aber der Geschmack ist immer derselbe. Fade. Vorhersehbar. Sicher.

Die Illusion der Abkürzung

Die Vorstellung ist verführerisch, das gebe ich zu. Du hast eine Idee, ein paar Notizen, vielleicht sogar einen halbfertigen Plot. Du fütterst das alles in ChatGPT, lässt die KI arbeiten, polierst ein bisschen nach – und voilà: Roman. Oder noch besser: Du lässt einen Coach dir beibringen, wie du die KI so promptest, dass sie dir einen Roman schreibt. Wenig Einsatz, maximaler Ertrag.

Es ist die alte Silicon-Valley-Fantasie, nur diesmal fürs Schreiben. Disruption! Effizienz! Demokratisierung! Jeder kann jetzt Autor sein. Das klingt erstmal gut, progressiv sogar. Wer will schon der Miesepeter sein, der sagt: Nein, eigentlich nicht jeder?

Aber hier ist das Problem: Ein teurer Pinsel macht aus einem Sonntagsmaler keinen Rembrandt. Eine professionelle Kamera macht aus jedem Urlaubsknipser keinen Robert Capa. Und eine KI macht aus mittelmäßigen Einfällen keine gute Literatur.

Was KI tatsächlich tut, ist Oberfläche optimieren. Sie kann Grammatik korrigieren, Sätze umstellen, Füllwörter eliminieren, Plotlöcher aufzeigen. Sie kann einen Text glatter machen, strukturierter, lesbarer. Was sie nicht kann: denken. Beobachten. Zweifeln. Eine Stimme entwickeln, die nach jemandem klingt und nicht nach einer statistischen Wahrscheinlichkeitsverteilung von Wörtern.

Ich denke an die Texte, die ich liebe. An Bret Easton Ellis’ «Imperial Bedrooms», wo jeder Satz nach Kokain und Verzweiflung riecht. An Nele Neuhaus’ präzise beobachtete Taunuswelt. An die Art, wie bestimmte Autoren die Welt sehen – schräg, eigensinnig, manchmal verstörend. Diese Texte entstehen nicht aus Prompts. Sie entstehen aus Jahren des Beobachtens, des Scheiterns, des Ringens mit Sprache.

Die Coach-Ökonomie der falschen Versprechen

Kommen wir zurück auf die Coaches. Die eigentlichen Gewinner in diesem Spiel.

Sie haben ein perfektes Geschäftsmodell entdeckt: Menschen mit Träumen treffen auf Werkzeuge, die sie nicht verstehen. Die Lücke dazwischen? Das ist ihr Markt. Sie verkaufen nicht Kompetenz, sondern die Illusion, dass Kompetenz irrelevant geworden ist. Du musst kein guter Schreiber sein, du musst nur wissen, wie man die KI richtig bedient.

Das Perfide daran: Es funktioniert. Zumindest für die Coaches.

Die Leute zahlen. Sie buchen die Kurse, kaufen die Masterclasses, abonnieren die Newsletter. Sie lernen, wie man ChatGPT füttert, wie man Midjourney für Coverdesigns nutzt, wie man mit KI-Tools eine komplette Buchkampagne aufzieht. Und am Ende haben sie tatsächlich ein Buch. Ein Produkt. Etwas, das man auf Amazon hochladen kann.

Nur: Es liest niemand.

Oder schlimmer: Es lesen ein paar Leute, die genauso getäuscht wurden wie die Autoren selbst. Die dachten, dass «Bestseller» eine technische Kategorie ist und keine qualitative. Die nicht verstanden haben, dass die Amazon-Algorithmen zwar manipulierbar sind, aber Leser nicht.

Die wirklichen Verlierer? Die Verlage. Und damit meine ich nicht die großen Konzerne, die haben andere Probleme. Ich meine die kleinen, die guten, die noch lesen. Die werden gerade überschwemmt mit KI-polierten Manuskripten, die alle gleich mittelmäßig klingen. Der Slush-Pile wird größer, nicht besser. Die Arbeit wird mehr, die Qualität nimmt ab.

Ein befreundeter Lektor erzählte mir kürzlich: «Früher konnte ich nach drei Seiten sagen, ob jemand schreiben kann. Jetzt lese ich dreißig Seiten und bin mir unsicher. Alles ist so… glatt. Aber leer.»

Was wirklich passiert

Ich will nicht so tun, als wäre KI nutzlos. Das wäre genauso falsch wie zu behaupten, sie sei ein Wundermittel. KI ist ein Werkzeug. Ein verdammt mächtiges sogar. Ich nutze sie selbst – für Recherchen, zum Brainstorming, manchmal um festgefahrene Satzstrukturen aufzubrechen.

Aber – und das ist der entscheidende Punkt – sie kann nicht ersetzen, was einen Schriftsteller ausmacht. Sie kann nicht die Jahre des Übens ersetzen, die Tausenden von Seiten Schrott, die man produzieren muss, bevor man versteht, wie Sprache funktioniert. Sie kann nicht die Beobachtungsgabe ersetzen, die man entwickelt, wenn man wirklich hinschaut. Sie kann nicht den Zweifel ersetzen, der einen nachts wachhält, weil eine Szene noch nicht stimmt.

Was KI macht, ist eine geringfügige Aufwertung. Sie nimmt Pech und macht… besseres Pech. Vielleicht sogar glänzendes Pech. Aber keine Kohle.

Die Coaches wissen das. Sie müssen es wissen. Aber warum sollten sie es zugeben? Ihr Geschäftsmodell basiert auf der Illusion. Auf der Hoffnung verzweifelter Hobbyschreiber, die jahrelang an ihrem Roman gesessen haben und jetzt endlich eine Abkürzung sehen. Auf dem Traum, dass Talent und Übung überbewertet sind und man sie durch das richtige Tool ersetzen kann.

Die Energie-Bilanz

Und dann ist da noch die Sache mit der Energie. Im wörtlichen Sinn.

Jeder ChatGPT-Prompt, jede KI-Generierung verbraucht Strom. Nicht viel pro Anfrage, aber multipliziert mit Millionen von Hobby-Autoren, die ihre Romane «optimieren» lassen? Die Rechenzentren laufen heiß. Für was? Für eine Illusion. Für Texte, die niemand lesen will, die niemand braucht, die die Welt nicht besser machen.

Es gibt Ansätze wie #greenprompting, die versuchen, den Energieverbrauch beim Prompten zu reduzieren. Aber selbst das effizienteste Prompting ändert nichts an der grundsätzlichen Frage: Lohnt sich dieser Energieaufwand für das Ergebnis? Für weitere KI-generierte Mittelmäßigkeit, die den Slush-Pile verstopft?

Die wirkliche Disruption wäre gewesen: Schreibcoaches, die Menschen beibringen zu beobachten. Die ihnen zeigen, wie man liest. Die erklären, warum bestimmte Sätze funktionieren und andere nicht. Die – verrückte Idee – Menschen ermutigen, jahrelang zu üben, zu scheitern, besser zu werden.

Aber das lässt sich nicht in einem Weekend-Workshop verkaufen.

Wollen wir das?

Ich stelle mir vor, wie das in fünf Jahren aussieht. Amazon überschwemmt mit KI-generierten Romanen. Verlage, die aufgegeben haben, im Slush-Pile zu wühlen, weil neunzig Prozent KI-Geschwafel sind. Leser, die misstrauisch geworden sind, weil zu oft enttäuscht. Eine Literaturlandschaft, in der authentische Stimmen untergehen im Rauschen optimierter Mittelmäßigkeit.

Und die Coaches? Die verkaufen dann den nächsten Kurs. «Wie deine KI-Bücher menschlicher klingen» oder so.

Eins weiß ich: Gute Literatur war noch nie demokratisch. Sie entsteht nicht durch breiten Zugang zu Werkzeugen, sondern durch Obsession, Talent und Arbeit. KI kann den Zugang erleichtern, das stimmt. Sie kann helfen, Ideen zu entwickeln, Strukturen zu finden, Sprache zu verfeinern.

Aber sie kann nicht schreiben. Nicht wirklich. Sie kann nur so tun als ob.

Und wir sollten aufhören, so zu tun, als wäre das dasselbe.


Sitze immer noch vor dem Laptop. Der Tee ist kalt geworden. Instagram läuft weiter. Zwischen den Coach-Ads erscheint ein Post von jemandem, der gerade sein erstes Buch veröffentlicht hat. Nach sieben Jahren Arbeit. Ohne KI. Ohne Abkürzung.

Die Kommentare darunter? Zwölf.

Unter der Coach-Werbung? Zweihundertvierzehn.

Vielleicht ist das die wahre Disruption.

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