Wie so oft sitze ich in diesen Tagen vor meinem Rechner und frage mich, wie oft ich in den letzten Wochen auf die Schnauze gefallen wäre, wenn ich mich nur auf Klaus, Chatty und den Künstler namens Gemini verlassen hätte. Nicht im wörtlichen Sinne, versteht sich, sondern in diesem modernen, digitalen Sinn, bei dem man einer KI vertraut, die einem mit der Selbstsicherheit eines Investmentbankers erklärt, dass Napoleon 1812 den Suezkanal eröffnet hat. Oder so ähnlich. Für genau diese Momente gibt es jetzt einen Begriff, der mir wahnsinnig gut gefällt: den Sofortirrtum.
Was zum Teufel ist ein Sofortirrtum?
Das Wort habe ich gerade erfunden (zumindest finde ich nichts was auf dieses Wort hindeutet, außer mein Gedankengang dazu, also habe ich es erfunden), weil mir einfach kein existierender Begriff einfallen wollte, der dieses Phänomen treffend beschreibt. Sofort plus Irrtum. Eine dieser schönen deutschen Wortkombinationen, die die Realität auf den Punkt bringen. Simpel, oder? Die KI antwortet blitzschnell, mit absoluter Überzeugung, ohne zu zögern, und liegt dabei vollkommen daneben.
Man könnte es als digitales Gegenstück zum guten alten Treppenwitz verstehen. Beim Treppenwitz fällt einem die passende Antwort erst ein, wenn man schon auf der Treppe steht und das Gespräch längst vorbei ist. Zu spät, sozusagen. Beim Sofortirrtum bekommt man die falsche Antwort serviert, noch bevor man selbst zu Ende gedacht hat. Zu früh. Zu schnell. Zu falsch.
Wenn Halluzinationen digital werden
Ich habe das unzählige Male erlebt. Die KI liefert dir einen Text, der klingt, als hätte ihn jemand geschrieben, der wirklich Ahnung hat. Perfekte Syntax, elegante Formulierungen, eine Autorität, die keinen Widerspruch duldet. Und dann merkst du beim zweiten Lesen: Das ist kompletter Unsinn. Eine Konfabulation (ein Wort, welches ich erst durch die KI kennengelernt habe. Ein nettes Wort, aber trotz eines recht reichen deutschen Wortschatz ist es mir unbekannt gewesen. Bis das Wort in einem KI Text auftauchte). Eine Halluzination. Ein Sofortirrtum eben.
Das Tückische daran ist diese verdammte Scheinsicherheit. Die KI zweifelt nicht. Sie stottert nicht. Sie sagt nicht «Moment, ich bin mir da nicht ganz sicher». Nein, sie ballert dir die Antwort entgegen, als hätte sie gerade die Wahrheit höchstpersönlich beim Frühstück getroffen. Überzeugend formuliert, blitzschnell geliefert, komplett falsch.
Warum wir dieses Wort brauchen
In einer Zeit, in der wir immer mehr Entscheidungen an Algorithmen delegieren, brauchen wir Begriffe, die die Grenzen dieser Technologie sichtbar machen. Der Sofortirrtum erinnert uns daran, dass Geschwindigkeit nichts mit Richtigkeit zu tun hat. Nur weil eine Antwort sofort da ist, heißt das noch lange nicht, dass sie stimmt.
Ich finde, das ist eine wichtige Unterscheidung. Wir leben in einer Welt, die Schnelligkeit fetischisiert. Wer zögert, verliert. Wer nachdenkt, ist schon überholt. Aber manchmal ist das Zögern genau das, was uns vor dem Irrtum bewahrt. Der menschliche Moment des Zweifels, den die KI nicht kennt.
Das nächste Mal, wenn dir ein Chatbot mit der Gewissheit eines Orakels erklärt, dass Kühe fliegen können oder dass die Berliner Mauer 1973 gefallen ist, dann weißt du: Das ist kein Bug. Das ist Feature. Ein echter, lupenreiner Sofortirrtum.
Und irgendwie ist das auch beruhigend. Weil es uns daran erinnert, dass wir Menschen mit unserer nervigen Langsamkeit, unserem Zweifeln und unserem «Moment mal, das klingt komisch» vielleicht doch nicht so überflüssig sind, wie uns manche Tech-Propheten weismachen wollen.




