
Kann der Second Screen das Familienleben implodieren lassen? Eine wie ich finde aus Marketing- und Vertriebssicht nicht ganz unwichtige Frage – denn wenn ein Medium es schaffen würde, den Zusammenhalt einer Familie beim gemeinsamen Fernsehschauen zu unterbrechen, dann ist dies sicherlich nicht förderlich.
Die aktuellen Zahlen sind ernüchternd: 83 % der TV-Zuschauer verwenden nebenbei ein weiteres Gerät zum Texten oder Surfen. Werden nicht die besten Entscheidungen innerhalb einer Familie in Gemeinsamkeit gefällt? Oder löst es nicht eventuell Doppelkäufe, Unzufriedenheit und damit auch Streit aus, wenn jeder alleine für sich vor seinem Gerät sitzt?
Das Drama der geteilten Aufmerksamkeit
Früher saßen Familien abends vielleicht zusammen vor einem Gerät, vor einer Sendung – allerhöchstens stickte jemand nebenbei oder schnitzte noch ein paar Äpfelchen. Die Studien zeigen heute ein anderes Bild: Alle Second-Screen-Nutzer schneiden deutlich schlechter ab beim Erinnern von Fakten und beim Verständnis des Gesehenen als die Kontrollgruppe ohne Zweitgerät. Das gleichzeitige Ausführen mehrerer Medienaufgaben verursacht erhebliche kognitive Kosten – bis zu 40 % der effektiven Aufmerksamkeit gehen verloren.
Ich erinnere mich gerne an TV-Zeit mit meinen Großeltern, auch wegen der Apfelstückchen: « Wetten, dass..? », « Einer wird gewinnen », « Rate mal mit Rosenthal » – das waren die alten Sendungen. Heute heißen sie « Deutschland sucht den Superstar », « Das Dschungelcamp », « Der Bachelor », « Germany’s Next Topmodel ». Allein an den Namen merkt man vielleicht schon den Unterschied dessen, was diese Sendungen erreichen wollen.
Wenn Smartphones die Familie spalten
Es geht genauso wie früher um maximale Aufmerksamkeit, aber um eine, die viel stärker als früher auf die Werbewirkung ausgerichtet ist. Was die Forschung dazu sagt, ist erschreckend: 84 % der Kinder berichten, dass beim Abendessen mit der Familie häufig längere Schweigepausen entstehen – offenbar weil alle am Tisch ins Smartphone schauen statt miteinander zu reden. 87 % der befragten Kinder gaben sogar zu, schon gereizt und unhöflich zu ihren Eltern gesprochen zu haben, während diese am Handy waren.
Das Phänomen hat mittlerweile einen Namen: Technoference – wenn digitale Geräte gemeinsame Zeit stören. Wenn Eltern wiederholt zum Smartphone greifen, während ihr Kind mit ihnen sprechen möchte, reagieren Kinder vermehrt mit Wut und Traurigkeit. Viele Kinder geben schließlich auf, die Aufmerksamkeit der abgelenkten Eltern zu erlangen. Dies kann aber auch umgekehrt auftreten.
Die Paradoxie der gemeinsamen Einsamkeit
Die jüngste Forschung bestätigt meine Sorge: Bei gemeinsamer Fernsehnutzung verringert der Griff zum Handy spürbar das Gefühl sozialer Verbundenheit in der Gruppe. Zuschauer, die während eines geteilten TV-Erlebnisses nebenbei online mit anderen interagierten, berichteten weniger Spaß und Zusammengehörigkeit mit den Anwesenden zu empfinden.
Paradoxerweise zeigen dieselben Studien einen positiven Effekt, wenn Personen alleine schauen: In Abwesenheit realer Gesellschaft kann das parallele Austauschen via Second Screen das Gefühl von sozialer Anbindung steigern. Doch sobald andere physisch anwesend sind, überwiegen die negativen Konsequenzen – echtes Gespräch und Augenkontakt werden durch das Zweitgerät verdrängt.
Wenn Kinder ihre Eltern « phubben »
Besonders besorgniserregend: Nicht nur Eltern ignorieren ihre Kinder zugunsten des Smartphones; auch das umgekehrte Phänomen nimmt zu. Je häufiger Eltern von ihren Kindern « weggephubbt » wurden, desto einsamer fühlten sich die Eltern. Dieses steigende Gefühl von Einsamkeit führte dazu, dass Eltern weniger Beziehungszufriedenheit mit ihren Kindern verspürten und ihre psychische Gesundheit litt.
Vielleicht ist das eine kritische Anmerkung, die nicht von allen geteilt wird. Aber vielleicht sollte(n) Unterhaltung(en) auch einfach wieder mehr bilden, anstatt nur zum Kauf aufzufordern und Ikonen aus der dritten Reihe der Beliebigkeit anzufeuern.
Denn bekomme ich nicht als Marke vielleicht die Konsumenten, die ich mir mit den Formaten, die ich bezahle, heranzüchte? Wenn häufige Smartphonenutzung der stärkste Prädiktor für eine verschlechterte Kommunikation mit Eltern und Familienmitgliedern ist, dann züchten wir uns eine Generation heran, die das gemeinsame Erleben verlernt hat.
Vielleicht sehr kritisch, aber einfach mal meine Montags-Meinung.
Lifehack: Geht gemeinsam nach draußen mit den Kids. Ohne Smartphone.
Quellen:
Konzentration & Aufmerksamkeit
- American Psychological Association (APA) – 2020 Report on Digital Distraction
„Multitasking has cognitive costs“ – Erwachsene berichten von Stress und Leistungsabfällen bei paralleler Mediennutzung.
👉 APA – Digital Distraction - Frontiers in Psychology (2022)
„Second screening during news viewing impairs memory and comprehension“ – Experiment zeigt, dass Second Screen die Nachrichtenaufnahme stört.
👉 Frontiers in Psychology - JAMA Pediatrics (2023)
Längsschnittstudie zu Kleinkindern: kumulative Medienexposition (TV, Handy, Hintergrundmedien) senkt fokussierte Aufmerksamkeit.
👉 JAMA Pediatrics - Meta-Analyse (2022) – Frontiers in Psychology
87 Studien ausgewertet: Mehr Bildschirmzeit hängt mit Aufmerksamkeitsproblemen (u. a. Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität) bei Kindern zusammen.
👉 Frontiers in Psychology
👨👩👧 Familienleben & Kommunikation
- Human Behavior and Emerging Technologies (2021–2023)
„Technoference“: Elterliche Handynutzung korreliert mit Gereiztheit und Frust bei Kindern, senkt deren Wohlbefinden.
👉 Wiley Online Library - Computers in Human Behavior (2025)
„Smartphone use and family communication“ – Häufige Nutzung bei Studierenden beeinträchtigt die Qualität der Kommunikation in Familien.
👉 ScienceDirect – Computers in Human Behavior - Study on Child-to-Parent Phubbing (2023)
Wenn Kinder ihre Eltern „phubben“: Eltern berichten von Einsamkeit, geringerer Beziehungszufriedenheit, schwächerer psychischer Gesundheit.
👉 Psychology & Marketing – Wiley - CU Boulder Study (2025)
„Second screens during co-viewing reduce social connectedness“ – Handy-Nutzung beim gemeinsamen Fernsehen schwächt Verbundenheit.
👉 CU Boulder News