Ein in der Mitte geteiltes Bild zeigt links ein kühl beleuchtetes Fotostudio mit großen Softboxen, Stativ und alter Großformatkamera. Rechts sitzt ein Mann allein in einem warm erleuchteten Raum an einem Tisch und arbeitet konzentriert an einem Laptop. Die Gegenüberstellung wirkt wie ein Kontrast zwischen technischer Außenwelt und introspektiver Innenwelt.

Verlieren wir den Blick für die Wahrheit aus Sparsamkeit? Oder unseren Sinn für das Schöne aus Effizienzgründen?

Es ist nicht die Frage, ob wir KI nutzen. Es bleibt die Auseinandersetzung, wie wir sie nutzen. Die KI als Unterstützer ist seltener im Einsatz als die ersetzende KI. Sie textet Texte, malt Gemälde, generiert Fotos und zaubert aus Tippfehlern die Prosa des Hingerotzten. Und das alles in der warmen Stube. Die KI ist der Wunscherfüller des Homeoffice-Evangelisten, der Zauberstab der Effizienzjünger und der Flaschengeist der Technologiefanatiker – kurzum eine tolle Sache für diejenigen, die ihren Job gerne quick & dirty am liebsten von zuhause aus erledigen.

Nur was bleibt auf der Strecke?

In der Branche der professionellen Fotografen lassen die Kunden ihren Hang zur Sparsamkeit ungebremst freien Lauf. Was früher im Studio erledigt wurde – Produktfotos, das Werbefoto für das neue Sparprodukt – wird an die KI verlagert. «Der Prompt, der wird’s schon richten, der Prompt, der macht’s schon gut», würde Peter Alexander heute wohl trällern, wenn er nicht längst von einer KI-Amsel ersetzt worden wäre.

Monica Menez kennt beide Seiten dieser Geschichte. Die Stuttgarter Mode- und Werbefotografin, ausgezeichnet, etabliert, mit Kunden von Hugo Boss bis BMW, hat 2023 frustriert Midjourney ausprobiert und das Tool nach ersten enttäuschenden Versuchen ein Jahr lang weggelegt. Zu unberechenbar, zu wenig kontrollierbar, zu weit weg von ihrer visuellen Handschrift. Dann, Anfang 2024, ein neuer Versuch. Et voilà: 500 Stunden später hat sie ihren Weg gefunden, KI in ihrem Stil zu nutzen. Gemeinsam mit Retoucherin Ivonne Veith gründet sie das Kollektiv SyntheticStyles, entwickelt Workshops und Vorträge mit dem Titel «Between Skepticism and Innovation» und bringt ihre Ausstellung «Specimens of Creativity» nach Stuttgart und Ludwigsburg.

Eine Erfolgsgeschichte? Durchaus. Aber eben auch eine, die zeigt, worum es wirklich geht.

500 Stunden. Fünfhundert. Das sind über zwölf Arbeitswochen à vierzig Stunden. Das ist kein schneller Prompt am Nachmittag. Das ist intensive Auseinandersetzung, Trial and Error, kreative Arbeit an der Maschine. Monica Menez warnt selbst vor der Kundenillusion, KI sei billig und schnell. Gute KI-Arbeit, sagt sie, ist zeitintensiv.

Und genau hier entsteht der Graben, der sich durch unsere Branche zieht.

Auf der einen Seite stehen Profis wie Menez, die KI als neues Werkzeug begreifen, das beherrscht werden will. Die 500 Stunden investieren, um ihre visuelle Sprache in die Maschine zu übersetzen. Die hybride Shootings entwickeln, bei denen KI und reale Fotografie zusammenfließen. Die verstehen, dass es hier nicht um Ersatz geht, sondern um Erweiterung.

Auf der anderen Seite steht der Kunde, der hofft, mit einem halbgaren Prompt das Fotoshooting zu ersetzen. Der glaubt, KI bedeute vor allem eins: günstiger. Der die warme Stube dem kalten Licht des Studios vorzieht, nicht aus künstlerischen Gründen, sondern weil es das Budget schont. Der die Weichzeichnung der Realität fürs kleine Budget in Kauf nimmt.

Augen zu und durch, denn wer will schon die Wahrheit sehen?

Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn wir eine ganze Generation von Promptern heranziehen, die wissen, wie man Effizienz erzeugt, aber vergessen haben, wie sich Echtheit anfühlt. Die KI nicht als Werkzeug nutzen, das nach 500 Stunden intensiver Arbeit beherrscht wird, sondern als billigen Ersatz für das, was früher Handwerk war. Die nie gelernt haben, wie Licht auf Haut fällt, wie Schatten Geschichten erzählen, wie der Moment aussieht, in dem eine Pose echt wird.

Wir verlieren den Blick für die echten Dinge. Wir schulen unser Auge mit modellierten Bildern und unsere Sprache mit Texten, die den Blick für die Tiefe nicht haben. Empathie und Leidenschaft, Trauer und Wut kann die KI nur fühlen, wenn wir sie prompten. Nur wessen Geistes Kind ist der Prompt, wenn wir selber nicht mehr rausgehen und sehen, fühlen, schmecken, streiten, lieben – und somit erkennen, wie die Wahrheit und das echte Leben sich ungepromptet anfühlen?

Monica Menez hat ihren Weg zur KI gefunden, weil sie vorher zwanzig Jahre lang fotografiert hat. Weil sie weiß, wie Guy Bourdin das Licht gesetzt hat, wie Helmut Newton Spannung erzeugt, wie John Waters das Absurde inszeniert. Ihre KI-Bilder funktionieren, weil dahinter eine visuelle Bildung steht, die sich nicht prompten lässt.

Die Frage ist nicht, ob KI. Die Frage ist: Wer nutzt sie wie? Und vor allem: Wer kann sich die 500 Stunden leisten, die es braucht, um aus der KI mehr zu machen als einen billigen Taschenspielertrick?

Dennoch bleibt die Frage offen, ob wir das wirklich wollen. Bilder ohne Gewicht, Texte ohne Seele, eine Welt, die nur noch aus der Ferne betrachtet wird – durch den Filter dessen, was bequem ist. Plattformen wie Genera ermöglichen inzwischen massenhaft KI-Modelfotos. Der Markt wird überschwemmt mit Bildern, die niemand mehr gemacht hat. Die warm und weichgezeichnet sind. Die nach nichts riechen und bei denen das Licht nie falsch fällt, weil es nie echt war.

Eins weiß ich: Die Wahrheit lässt sich nicht prompten. Sie riecht nach nassem Asphalt, schmeckt nach bitterem Kaffee und klingt nach dem Stottern echter Worte. Sie kostet Zeit – 500 Stunden vielleicht, oder mehr. Sie ist unbequem, ungeschliffen, manchmal sogar hässlich. Aber sie ist echt.

Und das, so scheint mir, könnte der wahre Luxus unserer Zeit sein. Einer, den sich nicht jeder leisten kann. Schon gar nicht aus der warmen Stube heraus.

Quelle: Eigene Recherche, Frankfurter Rundschau vom 29.11.2025.

(Visited 50 times, 1 visits today)