Seit geraumer Zeit verändert sich mein LinkedIn-Feed. Es geht natürlich um KI, aber ein anderes Thema drängt sich geradezu in den Vordergrund: Jobsuche Ü50 oder wie es manche härter zum Ausdruck bringen: Altersdiskriminierung. Mit Arsen habe ich mich in einer Folge von « meiersworld auf die Ohren » über diese Themen unterhalten.
Vielleicht kennst du das selbst: Du bist über 50, fühlst dich fit und agil, planst einen Perspektivwechsel, einen Jobwechsel oder willst eine neue Herausforderung annehmen. Das Wissen aus Jahrzehnten im Beruf ist da, die Motivation ist hoch, und dann kommt der Satz: « Das ist dann aber dein letzter Job im Leben. » Ein Satz, der einen innehalten und erstaunt in den Personalausweis blicken lässt.
Mit Ü50 wird es im Arbeitsleben tatsächlich bunt. Wo der eine vom dolce vita träumt und zum Genfluencer wird, steht für andere der Ritt durch jugendlich besetzte HR-Abteilungen an. Die allgemeine Klage über den Fachkräftemangel ist laut, aber die Realität in den Bewerbungsprozessen ist oft eine andere: Talente werden gesucht, aber eben keine erfahrenen Teamplayer.
Das ist das zentrale Spannungsfeld, mit dem wir uns heute beschäftigen müssen.
Die Faktenlage ist eindeutig
Deutschland braucht Erfahrung. Der demografische Wandel hat die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen massiv auf über 73 Prozent gesteigert. Die Erfahrung ist also da, sie bleibt länger im System. Ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen ein umfassendes Erfahrungswissen, hohe Sozialkompetenz und erwiesene Leistungsfähigkeit mit. Sie sind ein entscheidender Faktor für den betriebswirtschaftlichen Erfolg und die Innovationskraft von Unternehmen. Altersgemischte Teams führen zu fundierteren Entscheidungen, insbesondere bei komplexen Aufgaben.
Doch diese Fakten prallen im Bewerbungsverfahren auf eine Mauer aus Vorurteilen: die Altersdiskriminierung oder Ageism.
Die Mauer im Kopf
Diese Benachteiligung basiert auf negativen Altersbildern und Stereotypen, die besagen, dass man bestimmte Fähigkeiten im Alter nicht mehr besitzt. Sie wirkt als strukturelle Hürde, die einen Jobwechsel nicht nur mental, sondern auch praktisch erschwert. Selbst die Suche nach « jungen, engagierten Mitarbeitenden » in Stellenanzeigen kann bereits eine Form der Diskriminierung darstellen.
Aus meiner Sicht ist das ein Fingerzeig für eine grundsätzliche Fehlsteuerung im System. Einerseits beklagen wir den Fachkräftemangel, andererseits bauen wir Hürden auf, die genau jene Menschen ausschließen, die das System stabilisieren könnten.
Die gute Nachricht: Es gibt Werkzeuge
Der Gesetzgeber hat starke finanzielle Anreize geschaffen, um die Einstellung älterer Fachkräfte attraktiver zu machen. Der Eingliederungszuschuss ermöglicht es Arbeitgebern, bei Neueinstellungen von Personen ab 55 Jahren bis zu drei Jahre lang Lohnkostenzuschüsse von bis zu 50 Prozent zu erhalten. Ein starkes Signal an die Unternehmen, das Risiko zu minimieren. Und auch für die Selbstoptimierung wird gesorgt: Das Qualifizierungschancengesetz fördert Weiterbildung für Beschäftigte über 45 Jahre mit hohen Zuschüssen, um die Kompetenzen für die digitale Arbeitswelt zu schärfen.
Die strategische Frage
Die strategische Nutzung von Erfahrung ist damit nicht nur eine individuelle Chance, sondern eine nationale Notwendigkeit. Der Schlüssel liegt darin, dass Unternehmen das Age Diversity Management aktiv nutzen und eine Unternehmenskultur schaffen, die das Potenzial aller Generationen als entscheidenden Wettbewerbsvorteil begreift. Von der Babyboomer-Weisheit bis zur Gen Z-Digitalaffinität.
Dennoch frage ich mich: Warum greifen diese Instrumente in der Praxis so selten? Die Antwort liegt vermutlich weniger in den Strukturen als in den Köpfen. Solange die Vorstellung vom « letzten Job im Leben » dominiert, bleiben die besten Förderinstrumente wirkungslos. Es ist Zeit, dass wir nicht nur über Fachkräftemangel klagen, sondern die vorhandenen Talente auch tatsächlich nutzen.