Zwei Männer sitzen in einem gemütlichen Restaurant beim Abendessen. Beide lächeln; der Mann links zeigt dem anderen etwas auf seinem Smartphone. Vor ihnen stehen Teller mit Essen sowie zwei gefüllte Sektgläser und eine große Flasche Winzersekt auf dem Tisch. Durch das Fenster im Hintergrund sieht man eine winterliche, terrassierte Weinbergslandschaft in Blautönen.

Von Witwen, Winzern und der Kunst des Prickelns: Warum deutscher Winzersekt zur Weihnachtszeit eine verdammt gute Idee ist

Ein guter Freund und ich sitzen beim Lunch beisammen. Draußen dämmert es bereits um halb drei – Dezember eben – und wir reden über Weihnachten. Über Familie, über Stress, über die unvermeidliche Frage, was man denn so trinken wird, wenn alle zusammenkommen. Und dann, völlig unvermittelt, bringt er Witwen ins Spiel.

Champagner-Witwen.

Ich schaue ihn an, etwas irritiert. Er grinst, zückt sein Handy, zeigt mir einen Artikel vom Falstaff-Magazin. Fünf Jahre alt, verstaubt im digitalen Archiv, aber offenbar hat ihn irgendwas darauf gebracht. Was genau ihn zum Stolpern über diesen Text gebracht hat, konnten wir nicht mehr ergründen – vielleicht war es der Algorithmus, vielleicht der Zufall, vielleicht einfach die Vorweihnachtszeit, die einen dazu bringt, über Dinge nachzudenken, die man sonst links liegen lässt.

Für mich jedenfalls ergab sich daraus die Motivation, einmal mehr über deutschen Winzersekt zu sinnieren. Und meine Erkenntnisse mit euch zu teilen.

Die Grande Dames der Champagne

Der Artikel beschäftigt sich mit den Frauen, die die Champagne und das Getränk geprägt haben – und zwar nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als treibende Kraft. Veuve Clicquot, die ab 1805 als erste Frau überhaupt ein Champagnergut leitete. Madame Pommery, die den «Brut» erfand, als alle anderen ihre Schaumweine noch süß abfüllten. Mathilde-Émilie Perrier, die Fusionen wagte, wo andere Angst hatten.

Witwen waren es oft, die das Heft in die Hand nahmen, nachdem Krieg oder Krankheit ihnen den Mann genommen hatte. Sie hätten sich zurückziehen können, hätten die Geschäfte an Männer übergeben können. Haben sie aber nicht. Stattdessen revolutionierten sie eine ganze Branche.

Das ist beeindruckend. Wirklich. Und es erklärt auch, warum Champagner diese Aura hat, diesen Mythos, der weit über das Getränk selbst hinausgeht.

Der Mythos und die Wahrheit

Wobei – und jetzt wird es interessant – dieser Mythos auf einem ziemlich wackeligen Fundament steht. Dom Pérignon, der angebliche Erfinder des Champagners? Hat das Zeug verflucht. Er wollte verhindern, dass der Wein in der Flasche weitergärt und ihm die Fässer sprengt. Die zweite Gärung war ein Problem, kein Geschäftsmodell.

Die eigentliche Innovation kam aus England. Christopher Merret beschrieb 1662 – also gut 30 Jahre vor Dom Pérignons vermeintlicher Erleuchtung – wie man durch Zuckerzugabe gezielt Schaumwein herstellt. Die Engländer hatten besseres Glas, dank ihrer Kohleöfen. Die Franzosen hatten das Know-how nicht. Sie hatten nur das bessere Marketing.

Das soll Champagner nicht kleinreden. Überhaupt nicht. Die Champagne hat aus dieser Technik eine Kunst gemacht, hat Terroir kultiviert, hat Qualitätsstandards gesetzt, die bis heute ihresgleichen suchen. Die AOC-Regeln sind streng, die Herstellung ist aufwendig, das Ergebnis oft grandios.

Aber – und das ist jetzt der Punkt, der mich umtreibt – ist Champagner das einzige Getränk, das diese Qualität erreichen kann? Oder ist da vielleicht auch ein bisschen Protektionismus im Spiel, ein bisschen französisches Selbstverständnis, das sich hinter geschützten Herkunftsbezeichnungen versteckt?

Die deutsche Antwort

Deutschland hat eine lange Sekttradition. Eine sehr lange sogar. Nur haben wir es geschafft, diese Tradition zu verwässern, zu industrialisieren, zu einem Massenprodukt zu machen, das man literweise aus Tank und Flasche kippt, ohne groß nachzudenken. Sekt war lange das, was man am Samstagabend bei Aldi kauft, wenn man sich nicht ganz traut, zum Prosecco zu greifen.

Wobei – und das ist wichtig – deutsche Winzer ihre Sekte schon lange nach der traditionellen Methode hergestellt haben. Flaschengärung, Rütteln, Degorgieren, all das, was auch in der Champagne praktiziert wird. Die Handwerkskunst war da, die Qualität war da. Was fehlte, war die Sichtbarkeit, die Anerkennung, das gemeinsame Qualitätsversprechen.

Und vielleicht auch ein bisschen der Respekt. Schwierig, wenn man bedenkt, dass jede Flasche Sekt seit 1902 mit einer Steuer belegt ist, die ursprünglich Kaiser Wilhelms Flotte finanzieren sollte. Es wird heute noch geploppt, aber glücklicherweise nicht mehr aus allen Rohren der Marineschiffe geballert. Die Schaumweinsteuer existiert übrigens bis heute – 1,02 Euro pro Flasche, die direkt an den Staat gehen. Das gilt nicht nur für deutschen Sekt, sondern für alle Schaumweine, auch für Champagner. Eine charmante Erinnerung daran, dass deutscher Sekt einmal wichtig genug war, um damit Kriegsschiffe zu bezahlen – und dass der deutsche Fiskus bis heute bei jedem Korkenknall mitverdient, egal woher die Flasche kommt.

Und genau da setzte der VDP an. Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter hat 2021 ein Sektstatut verabschiedet, das an Strenge den französischen Regeln in nichts nachsteht. Traditionelle Flaschengärung obligatorisch, mindestens 15 Monate auf der Hefe – bei Jahrgangssekten sogar 24 Monate. Die Prestige-Kategorie verlangt mindestens 36 Monate. Handgelesen, Ganztraubenpressung, strenge Herkunftsbezeichnungen. VDP.SEKT und VDP.SEKT.PRESTIGE – eine Hierarchie, die Terroir ernst nimmt und Qualität nicht dem Zufall überlässt.

Das Statut hat nicht die Produktionsmethode erfunden, es hat sie kodifiziert. Es hat einen Standard geschaffen, an dem sich Winzer und Konsumenten orientieren können. Es hat aus vielen einzelnen, hervorragenden Sekten eine erkennbare Kategorie gemacht – eine Klassifizierung, die es Etikettentrinkern leichter macht, zum Winzersekt zu greifen.

Und das ist wichtig. Denn Winzersekt hat nichts – wirklich gar nichts – mit dem zu tun, was große Kellereien mit märchenhaften Namen als «deutschen Sekt» abfüllen. Sekt, der oft nur kurz deutschen Boden gesehen hat, nämlich zwischen dem Lastwagen aus Spanien und der deutschen Lagerhalle vor dem Produktionsprozess. Industrieware, die mit Handwerk so viel zu tun hat wie ein Fertiggericht mit Sterneküche.

Deutsche Winzersekte sind etwas anderes. Sie sind das, was sie schon immer waren – ernstzunehmende Schaumweine auf Augenhöhe mit internationalen Größen. Das Statut hat das nicht verändert, es hat es nur sichtbar gemacht.

Ich habe in den letzten Jahren einige probiert – Riesling-Sekte von der Mosel, Spätburgunder-Sekte aus Baden, Silvaner-Sekte aus Franken. Weine, die Charakter haben, die von ihrer Herkunft erzählen, die komplex sind und gleichzeitig trinkbar. Weine, die sich nicht hinter Champagner verstecken müssen.

Die Preisfrage

Und jetzt kommt der Punkt, an dem es wirklich interessant wird: der Preis.

Ein guter deutscher Winzersekt kostet irgendwas zwischen dem, was man für eine ordentliche Flasche Wein hinlegt, und dem, was man für einen Einstiegschampagner zahlt. Man bekommt handwerkliche Qualität, man bekommt Terroir, man bekommt Sorgfalt – ohne dass man das Gefühl hat, für ein Label zu bezahlen.

Champagner? Da fängt es irgendwo an, wo man schon mal kurz überlegt, ob man nicht lieber zwei Flaschen deutschen Winzersekt kauft und dafür einen schönen Abend mit Freunden verbringt, statt eine Flasche französischen Mythos zu öffnen und sich dann doch ein bisschen schlecht zu fühlen, weil man ja eigentlich sparen wollte.

Ich will Champagner nicht schlechtreden. Wenn ich in einem Restaurant sitze und mir jemand eine Flasche Bollinger La Grande Année kredenzt, sage ich nicht Nein. Wenn ich in der Champagne bin und bei einem kleinen Winzer eine Rarität entdecke, die nirgendwo anders zu finden ist, nehme ich sie mit. Champagner hat seinen Platz. Seinen berechtigten Platz.

Aber muss es immer Champagner sein? Zur Weihnachtszeit, wenn die Familie zusammenkommt, wenn man anstoßen will, wenn man feiern will – ist es nicht vielleicht sogar authentischer, etwas zu trinken, das von hier kommt? Von Winzern, die man kennt, deren Weinberge man vielleicht sogar schon mal gesehen hat, deren Philosophie man versteht?

Die Frage der Haltung

Es gibt diesen Moment auf Weihnachtsfeiern, wenn jemand eine Flasche Champagner mitbringt und alle kurz ehrfürchtig innehalten. Als wäre das die ultimative Geste. Als wäre alles andere nur zweite Wahl.

Ich finde, das ist Unsinn.

Ein guter deutscher Winzersekt ist keine zweite Wahl. Er ist eine bewusste Entscheidung. Eine Entscheidung für Handwerk statt Mythos, für Regionalität statt Prestigedenken, für Qualität statt Label.

Und er ist – das muss ich wirklich sagen – oft überraschender. Weil er nicht das Erwartete liefert, nicht das Standardprofil, das man von Champagner kennt. Sondern weil er zeigt, was möglich ist, wenn man deutsche Rebsorten ernst nimmt, wenn man Terroir nicht nur als Marketingbegriff verwendet, sondern als Grundlage für Geschmack.

Was bleibt

Ich werde auch dieses Jahr zur Weihnachtszeit ein paar Flaschen Winzersekt kaufen. Vielleicht einen Riesling-Sekt aus dem Rheingau, vielleicht einen Blanc de Noirs aus Baden. Ich werde sie öffnen, wenn die Familie da ist, wenn es gemütlich wird, wenn der Stress des Jahres langsam abfällt.

Und ich werde niemandem erzählen müssen, dass das jetzt kein Champagner ist. Weil es darum nicht geht. Es geht um den Moment. Um das Prickeln. Um die Freude.

Die Witwen der Champagne hätten das verstanden. Die wussten, dass es nicht um Herkunft geht, sondern um Haltung. Um den Mut, etwas anders zu machen. Um die Bereitschaft, Qualität zu produzieren, auch wenn der Markt etwas anderes will.

Genau das machen deutsche Winzer gerade. Und das verdient Respekt. Und einen Platz unter dem Weihnachtsbaum.

Prost.

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