KI, Thermomix und Lesestoff: Neue Stimmen – Wenn Schreibschwierigkeiten keine Barriere mehr sind
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Liebe Leserinnen und Leser,
diese Woche beschäftigt mich ein Gedanke, der mir in den vielen Gesprächen über KI immer wieder begegnet ist. Es geht nicht um Technik, nicht um Arbeitsplätze und auch nicht um die nächste spektakuläre Modellgeneration. Es geht um etwas viel Grundlegenderes: um Stimmen, die bisher nicht gehört wurden.
Die Spaltung im KI-Diskurs
Bevor ich darauf zu sprechen komme, muss ich tatsächlich länger grübeln über die vielen Gespräche und Textbeiträge, die ich in den letzten Tagen und Wochen zum Thema künstliche Intelligenz gelesen habe. Es gibt die technikgetriebenen Artikel über gigantische Chips und Investitionssummen. Es gibt die Existenzängste derjenigen, die künstlerisch tätig sind. Und es gibt die vermeintlich pragmatische Mitte, die glaubt, mit ein paar KI-Tools im Sales die Welt zu erobern. Das ist ungefähr so spannend wie die Tatsache, dass manche Menschen mit einem Thermomix nun unfallfrei Milchreis kochen können.
Viel entscheidender ist die Frage, die dahinter liegt: Es geht nicht mehr darum, gemeinsam ein Ziel zu finden, sondern um das Für oder Wider. Mit jedem Argument will man den anderen niederschreien, denn man will mit aller Gewalt Recht haben.
Die andere Seite der KI-Medaille
Dabei kann die künstliche Intelligenz natürlich viel mehr bieten als die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Mir ist vollkommen klar, dass jeder, der künstlerisch tätig ist, von dem Lernstrom, den die KI an den Tag gelegt hat, nicht begeistert ist. Das Prinzip des Fair Use, wie wir es aus der US-amerikanischen Rechtsprechung kennen, ist hier schon längst überschritten.
Wir müssen Wege finden, wie diejenigen, die ihren Input geliefert haben, auch davon profitieren. Und hier brauchen wir keine individuellen Lösungen, sondern systemische Antworten. Vergütungsmodelle für Trainingsdaten, Open-Source-Alternativen, die transparent dokumentieren, mit welchen Daten sie trainiert wurden. Regulierungen, die nicht nur auf freiwilliger Basis funktionieren, sondern verbindlich sind.
Dies ist keine Frage des guten Willens einzelner Unternehmen, sondern eine Frage der politischen Gestaltung. Solange wir das nicht lösen, bleibt die berechtigte Kritik an der KI-Entwicklung bestehen.
Aber man darf die KI deswegen auf gar keinen Fall verteufeln. Das wäre ein großer und furchtbarer Fehler.
KI als Empowerment-Tool: Die übersehene Revolution
Diejenigen, die gegen die KI wettern, wollen am liebsten, dass man aufhört, mit ihr zu arbeiten, dass man aufhört zu entwickeln. Es wäre fatal, es wäre falsch. Denn wie Cornelia Diethelm in einem LinkedIn-Beitrag geschrieben hat, kann die KI viel mehr: Sie kann ein echtes Empowerment-Tool sein.
Und vielleicht ist das der kleine Gedanke, über den wir nachdenken müssen. Wenn KI es schafft, Menschen, die bisher keine großartige Stimme hatten, weil sie Gedanken in ihrem Kopf nicht zu Worten zusammenbringen konnten, die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken, dann ist das toll.
Was ist mit den Kindern, die aufwachsen, Lernschwierigkeiten haben und sich aber keine Schülerhilfe leisten können? Ein Kurs bei der Schülerhilfe kostet zwischen 1.000 und 4.000 Euro im Jahr. Da ist das Abonnement von ChatGPT Plus oder von Claude für 20 Euro im Monat vielleicht die günstigere Variante, jemandem den Einstieg in einen vernünftigen Schulalltag zu ermöglichen.
Ja, jetzt wwerden viele sagen, aber dafür brauche ich doch keine KI, das kann doch die Mutter oder der Vater machen. Sicherlich haben genau die Leute, deren Kinder sich keinen Nachhilfeunterricht leisten können, nicht die Zeit, sich mit ihren Kindern hinzusetzen. Diese Familien wurden schon während Corona extrem gefordert.
Die Stimme für diejenigen ohne Stimme
Nun gibt es also die künstliche Intelligenz. Sie schafft es, dass derjenige, der sich mit seinem Vermieter auseinandersetzen muss, vielleicht einen guten Brief schreiben kann, in dem beiden klar ist, dass man sich austauschen kann, ohne dass der Vermieter darüber lacht, weil er einen rechtschreibfehlergespickten Text bekommen hat.
Hier liegt etwas, das in der Debatte oft untergeht: Der Punkt mit den Schreibschwierigkeiten ist bemerkenswert, und er steht geradezu diametral zu dem, was man oft aus der Autoren-Ecke hört.
Denn es ist richtig: Wer Schwierigkeiten mit dem Schreiben hat, aber eine gute Idee oder einen klugen Ansatz für einen LinkedIn-Kommentar mitbringt, sich aber nicht traut, das aufzuschreiben, der bekommt mit KI eine Stimme.
Das ist ausgesprochen gut. Es hilft denjenigen zu Wort zu kommen, die sonst schweigen würden. Vielleicht aus Scham, vielleicht aus Unsicherheit.
Während die Debatte sich oft um «Authentizität» und «Beziehungsinvestition» dreht, alles valide Punkte, keine Frage, übersehen wir manchmal, dass manche Menschen überhaupt erst durch KI die Möglichkeit bekommen, am Diskurs teilzunehmen.
Das ist keine Frage von Fast Food versus Haute Cuisine. Sondern eine Frage von Stimme haben oder keine Stimme haben.
Die berechtigte Warnung: Wenn Denken ausgelagert wird
Aber es wäre falsch, hier nicht auch die andere Seite zu beleuchten. Der Sprachwissenschaftler Noah Bubenhofer warnt in einem Artikel der FAZ vom 7. Dezember 2025 davor, das Schreiben vollständig an Künstliche Intelligenz auszulagern. Seine zentrale These: Wer KI Texte schreiben lässt, verpasst entscheidende Lern- und Denkprozesse, denn Schreiben ist selbst ein Akt der Erkenntnis.
Bubenhofer betont, dass Kommunikation weit mehr sei als das Austauschen von Informationen. Schreiben und Sprechen formen Gedanken, und wer diesen Prozess an Maschinen delegiert, verschenke die Chance, sich inhaltlich weiterzuentwickeln.
Zwar sieht er KI als nützliches Werkzeug, etwa zur Unterstützung bei Routinen, Strukturierungen oder Korrekturen. Doch er warnt vor einer Abkürzung, die dazu führen könnte, dass Menschen weniger tief denken, weniger Sprachexperimente wagen und langfristig kommunikative Kompetenzen verlieren.
Zudem fragt er, wie sich Kultur, Bildung und gesellschaftliche Debatten verändern, wenn große Teile der Texte maschinell erzeugt werden. Für ihn bleibt klar: Der Mensch muss im kreativen und reflektierenden Prozess bleiben, sonst verliert er Fähigkeiten, die für eine lebendige Sprache und für demokratische Kommunikation zentral sind.
Der Balanceakt: Ermächtigung ohne Entmündigung
Bubenhofers Warnung ist berechtigt und wichtig. Aber sie widerspricht nicht dem Empowerment-Gedanken, sondern ergänzt ihn. Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-Als-Auch.
Der Unterschied liegt im Wie. Und hier wird es konkret:
KI als Brücke nutzen heißt:
- Du schreibst selbst eine erste Rohfassung, auch wenn sie holprig ist, und lässt die KI dann beim Überarbeiten helfen
- Du formulierst deine Gedanken in Stichpunkten und bittest die KI, daraus Sätze zu formen, die du dann kritisch prüfst und anpasst
- Du nutzt KI, um Formulierungshilfen zu bekommen, wenn dir das richtige Wort nicht einfällt, aber die Struktur und der Gedanke bleiben deine
KI als Ersatz missbrauchen heißt:
- Du gibst ein Thema ein und lässt die KI komplett denken und schreiben, ohne selbst inhaltlich aktiv zu sein
- Du übernimmst KI-Texte ungeprüft, weil es schneller geht, auch wenn du eigentlich schreiben könntest
- Du verlagerst den Denkprozess komplett auf die Maschine und verlernst dabei, selbst zu strukturieren und zu argumentieren
Die Frage ist also nicht: KI ja oder nein? Die Frage ist: Bin ich noch beim Denken dabei oder habe ich es ausgelagert?
Ein guter Test: Wenn dir jemand eine kritische Rückfrage zu deinem Text stellt, kannst du dann spontan und fundiert antworten? Oder musst du erst wieder die KI fragen? Im ersten Fall hast du die KI als Werkzeug genutzt. Im zweiten Fall hat sie für dich gedacht.
Die Thermomix-Analogie: Kochen für alle
Nehmen wir die KI als das hin, was sie ist. Sie ist ein Tool, auf das man bauen kann, wenn man mit ihr umgehen kann. Gerade im Bereich der schulischen Bildung kann sie Kindern unglaublich helfen, wenn wir unseren Kindern richtig beibringen, wie sie mit diesem Tool umgehen. Kritisch und nicht wie mit Social Media einfach unkritisch vor sich hin, sich daran begeisternd, dass irgendjemand lange rote Fingernägel hat.
Es ist wie beim Thermomix. Für manche ist er ein Spielzeug für Leute, die nicht kochen können. Für andere ist er das Werkzeug, das ihnen überhaupt erst ermöglicht, ihre Familie zu ernähren. Der alleinerziehende Vater, der nach zehn Stunden Arbeit keine Energie mehr hat, komplizierte Rezepte zu befolgen. Die Großmutter mit Arthritis, die nicht mehr stundenlang rühren kann. Der Student mit Dyspraxie, dem feinmotorische Tätigkeiten schwerfallen.
Niemand würde diesen Menschen ihr Recht absprechen, den Thermomix zu nutzen. Aber wir würden ihnen auch raten: Lerne trotzdem die Grundlagen des Kochens. Verstehe, was in deinem Essen passiert. Nutze die Maschine als Unterstützung, nicht als Denkersatz.
Genau das gilt auch für KI und das Schreiben. Nutze sie als Brücke zur Teilhabe. Aber verliere nicht die Fähigkeit, selbst zu denken und zu formulieren.
Praktische Tipps: So nutzt ihr KI als Lernwerkzeug
Genug Theorie. Was können wir konkret tun? Hier ein paar Ansätze, die ich selbst nutze und weiterempfehlen kann:
Für Schüler und Studierende:
- Nutzt KI, um euch Sachverhalte erklären zu lassen, aber schreibt die Zusammenfassung selbst in eigenen Worten
- Lasst euch von der KI Übungsaufgaben generieren und erklärt dann selbst die Lösungswege
- Bittet die KI um Feedback zu eurem Text, aber entscheidet selbst, welche Änderungen ihr übernehmt
Der Selbstcheck: Brücke oder Krücke?
- Stellt euch nach jedem KI-Einsatz die Frage: «Habe ich dabei etwas gelernt oder nur Zeit gespart?»
- Wenn ihr einen Text mit KI erstellt habt: Könntet ihr ihn in einem Gespräch frei wiedergeben und verteidigen?
- Probiert bewusst mal aus, eine Aufgabe komplett ohne KI zu lösen. Wie schwer fällt es euch?
Ethisch entwickelte KI-Tools finden:
- Achtet auf Open-Source-Alternatien, die transparent dokumentieren, mit welchen Daten sie trainiert wurden
- Fragt nach: Wie wird mit Urheberrechten umgegangen? Werden Künstler vergütet?
- Nutzt lokale KI-Modelle, wo möglich, um Datenschutz zu gewährleisten
Für Eltern und Lehrkräfte:
- Verbietet KI nicht, sondern bringt den kritischen Umgang bei
- Macht KI-Nutzung transparent: «Ich habe hier die KI als Rechtschreibhilfe genutzt»
- Zeigt selbst, wie ihr KI als Werkzeug einsetzt, nicht als Denkersatz
Die Weisheit der kritischen Nutzung
Ich möchte Cornelia Diethelm an diesem Punkt noch einmal erwähnen mit einem Gedanken aus ihrem LinkedIn-Beitrag: Dieser macht dann doch Hoffnung, dass man vielleicht auch mal weggeht vom techno- und finanzgetriebenen Füllwörter-Chaos über die KI und wie toll es ist, dass jetzt die KI von irgendwem den nächsten Abschluss generiert hat.
Wir müssen dahingehend die KI vielleicht so betrachten, wie es Christian Uhle in seinem Buch «Künstliche Intelligenz und echtes Leben» tut. Er gibt in seinem Buch eine philosophische Orientierung für eine gute Zukunft.
Lehnen wir die KI nicht ab, sondern nutzen sie als uns stärkendes Tool. Aber bleiben wir dabei im Denken, im Reflektieren, im eigenen Formulieren. Das ist der Unterschied zwischen Empowerment und Entmündigung.
Die Verantwortung liegt bei uns, aber nicht nur bei uns
Natürlich gibt es Gefahren. Natürlich müssen wir darüber sprechen, wie mit geistigem Eigentum umgegangen wird. Natürlich brauchen wir Regelungen, damit Künstler und Autoren nicht ausgebeutet werden.
Aber hier dürfen wir nicht nur auf individuelle Verantwortung setzen. Wir brauchen politische Lösungen: Vergütungssysteme für Trainingsdaten, wie wir sie aus der Musikindustrie kennen. Transparenzpflichten für KI-Unternehmen. Open-Source-Modelle, die zeigen, dass es auch anders geht.
Und während wir diese wichtigen Diskussionen führen, sollten wir nicht vergessen, dass da draußen Menschen sind, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Möglichkeit haben, ihre Gedanken zu formulieren. Die zum ersten Mal einen formellen Brief schreiben können. Die zum ersten Mal an einer Diskussion teilnehmen können, ohne vorher tagelang an der Formulierung zu feilen.
Das ist keine Kleinigkeit. Das ist demokratische Teilhabe im digitalen Zeitalter.
Und wenn wir ehrlich sind: Ist es nicht genau das, was Technologie leisten sollte? Nicht nur die Starken stärker machen, sondern denen helfen, die Unterstützung brauchen. Aber eben so, dass sie dabei nicht das Denken verlernen.
Lesestoff: Künstliche Intelligenz und echtes Leben
Christian Uhle: «Künstliche Intelligenz und echtes Leben – Eine philosophische Orientierung für eine gute Zukunft»
In einer Zeit, in der die KI-Debatte zwischen Euphorie und Hysterie schwankt, bietet Christian Uhle etwas Seltenes: eine besonnene, philosophische Betrachtung. Sein Buch ist keine technische Abhandlung, sondern eine Reflexion darüber, wie wir mit dieser Technologie umgehen sollten.
Uhle argumentiert nicht gegen die KI, aber auch nicht blind dafür. Er fragt nach dem guten Leben, nach Würde, nach dem, was uns Menschen ausmacht. Und er zeigt Wege auf, wie wir KI so einsetzen können, dass sie uns dient, nicht umgekehrt.
Besonders wertvoll: Uhle versteht, dass Technologie nie neutral ist. Sie verstärkt immer bestehende Strukturen. Die Frage ist nur: Welche Strukturen wollen wir verstärken? Die, die Menschen ausschließen? Oder die, die Menschen ermächtigen, ohne sie zu entmündigen?
Ein Buch für alle, die zwischen den Schreihälsen beider Lager einen ruhigen, durchdachten Standpunkt suchen. Ein Buch, das hilft, eigene Antworten zu finden statt fertige Meinungen zu übernehmen.
Erhältlich im Buchhandel.
Fazit: Die Stimme, die zählt
Vielleicht ist die wichtigste Erkenntnis dieser Ausgabe, dass Werkzeuge immer auch Ermöglichungsinstrumente sind, aber gleichzeitig die Gefahr der intellektuellen Bequemlichkeit bergen. Der Thermomix ermöglicht Menschen das Kochen, die sonst aufgeben würden, aber er sollte nicht dazu führen, dass niemand mehr versteht, wie Hitze Proteine verändert. Die KI ermöglicht Menschen das Schreiben, die sonst schweigen würden, aber sie sollte nicht dazu führen, dass niemand mehr selbst denken lernt.
Beides ist wertvoll. Beides verdient unsere Unterstützung. Und beides verdient eine kritische, aber konstruktive Begleitung, die Ermächtigung ermöglicht, ohne Entmündigung zu fördern.
Die Zukunft wird nicht dadurch besser, dass wir neue Technologien ablehnen. Sie wird dadurch besser, dass wir lernen, sie so einzusetzen, dass sie allen dienen, nicht nur wenigen. Und dass wir die systemischen Rahmenbedingungen schaffen, die faire Nutzung ermöglichen.
Aber dabei müssen wir wachsam bleiben, dass wir nicht die Fähigkeiten verlieren, die uns zu denkenden, reflektierenden Menschen machen.
In diesem Sinne einen schönen Dienstag.
Bis nächste Woche mit neuen Einsichten zwischen Küche, Code und Kontemplation!
Euer #digitalpaddy
P.S.: Falls ihr nach dem Lesen jemanden kennt, der sich nicht traut zu schreiben, obwohl er etwas zu sagen hat: Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, ihm zu zeigen, dass es Werkzeuge gibt, die helfen können. Nicht als Ersatz für eigene Gedanken, sondern als Brücke zur eigenen Stimme. Und ermutigt ihn gleichzeitig, beim Denken zu bleiben. Fragt ihn: «Kannst du mir erklären, was in deinem Text steht?» Wenn ja, dann war die KI ein Werkzeug. Wenn nein, dann war sie ein Ersatz.
